Die Forschung zum neuartigen Coronavirus läuft auf Hochtouren. Eine spezifische Therapie gibt es derzeit noch nicht. Forscher haben nun einen neuen Angriffspunkt für die Bekämpfung von SARS-CoV-2 ausgemacht. So können die Autophagie-fördernde Substanzen die Virusvermehrung reduzieren. Dr. Marcel Müller, Christian Drosten, (beide Institut für Virologie an der Berliner Charité) und Dr. Nils Gassen (Universitätsklinikum Bonn) haben die ersten Ergebnisse zu Spermidin veröffentlicht.
Anfang des Jahres hatten die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an der Charité die Autophagie als zelleigenen Recycling-Mechanismus, als neuen Angriffspunkt für die Bekämpfung des MERS-Coronavirus identifiziert. Die Forscher fanden heraus, dass das MERS-Virus, das im Jahr 2012 auftrat, den zellulären Prozess der Autophagie drosseln muss, um sich zu vermehren.
Autophagie ist ein körpereigener Recycling-Mechanismus, den die Zellen nutzen, um beschädigtes Material und Abfallprodukte abzubauen. Die übrigbleibenden Bausteine werden zum Aufbau neuer Zellstrukturen verwendet. Auch Viren und andere pathogene Keime werden über diesen Prozess der „Selbstverdauung“ als Abfallprodukte erkannt und entsorgt.
Doch einige Viren haben verschiedene Strategien entwickelt, um dem Abbau zu entgehen – so auch MERS. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler mit dem Protein SKP2 einen bisher unbekannten molekularen Schalter, der den Ablauf der Autophagie regelt. So kann MERS das Protein aktivieren und die Autophagie herabsetzen und so dem eigenen Abbau entgehen. Wurden MERS-infizierte Zellen in-vitro mit SKP2-Hemmern behandelt, um den Entsorgungsprozess anzukurbeln, konnte die Vermehrung des Virus um das bis zu 28.000-Fache reduziert werden.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass SKP2 ein vielversprechender Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen das MERS-Virus – und möglicherweise auch gegen andere Autophagie-abhängige Viren – ist“, erläutert Müller. SKP2-Hemmer greifen nicht das Virus direkt an, was die Gefahr der Resistenzbildung verringert.
Die Wissenschaftler haben nun Ergebnisse einer in-vitro-Studie als Preprint veröffentlicht, die den Einsatz von SKP2-Hemmern gegen SARS-CoV-2 untersuchte. Das Coronavirus wurde mit Spermidin und Niclosamid, das gegen Bandwurmerkrankungen eingesetzt wird, behandelt.
Spermidin ist eine natürliche und körpereigene Substanz, die erstmals in der männlichen Samenflüssigkeit nachgewiesen wurde. Allerdings kommt Spermidin in fast allen Körperzellen vor und wird von Darmbakterien produziert und über die Nahrung aufgenommen. Spermidin ist die einzige bekannte körpereigene Substanz, die die Autophagie auslöst. Die Substanz konnte zeigen, dass sie das Demenzrisiko senken kann.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass eine SARS-CoV-2-Infektion die Autophagie drosselt, indem das Virus in mehrere metabolische Signalwege eingreift. Substanzen, die wiederum die Autophagie induzieren, konnten in-vitro die Virusausbreitung reduzieren.
So weisen Analysen darauf hin, dass SARS-CoV-2 die Glykolyse und Proteintranslation reduzieren kann, indem es die Aktivierung der AMP-Protein-aktivierten Kinase (AMPK) begrenzt. Das Autophagie-induzierende Spermidin kann die Virusausbreitung reduzieren und den AKT1/SKP2-abhängigen Abbau des Autophagie-induzierenden Beclin-1 (BECN1) hemmen. Die Ergebnisse zeigen, dass durch die Gabe von Spermidin, des AKT-Inhibitors MK-2206 und Niclosamid wurde die Ausbreitung von SARS-CoV-2 um 85, 88 beziehungsweise um mehr als 99 Prozent gehemmt. Spermidin ist in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten. Ein Beispiel ist SpermidineLife von Infectopharm.
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