So gelangen Fälschungen in die Lieferkette Deniz Cicek-Görkem, 09.02.2018 14:33 Uhr
Das Geschäft mit gefälschten Medikamenten boomt. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind 10 Prozent der Medikamente weltweit gefälscht. Jährlich sterben etwa 1 Millionen Menschen an den Folgen einer Einnahme von gefälschten Arzneimitteln. Dabei machen die Kriminellen vor nichts Halt: Gefälscht wird alles, was lukrativ erscheint. Besonders begehrt sind beispielsweise Lifestyle-Präparate wie Potenzmittel und Diätpillen, aber auch HIV- und Krebsmedikamente. Die Kette der Fälscher ist oft nicht lückenlos zurückverfolgbar, die Identität der Tatbeteiligten bleibt meistens verborgen. Engagieren sich die Hersteller überhaupt, um Fälschungen zu vermeiden? APOTHEKE ADHOC hat bei Pfizer nachgefragt.
Arzneimittelfälschungen bringen viel Geld: Gefälschtes Viagra (Sildenafil, Pfizer) ist teurer als Kokain. Auf dem Schwarzmarkt kostet ein Kilogramm der blauen Tabletten schätzungsweise durchschnittlich 90.000 Euro, Kokain dagegen 65.000 Euro. Marihuana ist schon für 8000 Euro zu haben und Ecstasy für „lediglich“ 1300 Euro. Kriminelle, die auf diesem Wege gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) verstoßen, können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft werden.
Doch was genau ist eine Arzneimittelfälschung? Definitionsgemäß ist ein Arzneimittel, das in betrügerischer Absicht falsch gekennzeichnet wurde, eine Fälschung. Das bedeutet, dass zur Identität, zu den Inhaltsstoffen oder der Herkunft falsche Angaben gemacht werden. Es gibt verschiedene Kategorien von Fälschungen: Produkte ohne Wirkstoff, Produkte mit falschen, zu hohen oder zu niedrigen Wirkstoffmengen sowie Produkte mit gefälschten beziehungsweise falschen Inhaltsstoffen.
Arzneimittelfälschungen können eine Gefährdung für den Patienten darstellen. Die therapeutische Wirkung kann ausbleiben oder der Gesundheitszustand sich verschlechtern. Denkbar sind toxische Wirkungen wegen falschen Wirkstoffen, Überdosierungen, allergische Reaktionen sowie auch Verunreinigungen, da die Arzneimittel meist unter unhygienischen Bedingungen herstellt werden. Zudem können Beipackzettel oder Verpackung verändert sein oder fehlen.
Fälscher verkaufen ihre gepanschten Medikamente hauptsächlich auf dem Schwarzmarkt, dazu gehören beispielsweise illegale Online-Apotheken, Internetanzeigen (Ebay) und der Straßenmarkt. Zudem wird auch das sogenannte B2B-Modell genutzt, bei dem kriminelle Großhändler untereinander Geschäfte machen. Auf der anderen Seite spielt der Graumarkt eine zunehmend bedeutende Rolle.
Auch wenn in Deutschland Arzneimittelfälschungen in der legalen Verteilerkette sehr selten vorkommen, wird hin und wieder von Einzelfällen berichtet. In jüngster Vergangenheit sorgte die Fälschung des Hepatitis C-Mittels Harvoni (Ledipasvir 90 mg/Sofosbuvir 400 mg, Gilead) in der Apotheke für Aufruhr. Die Tabletten waren mit falscher Farbe aufgetaucht – weiß statt orange. Aber auch der Markt über illegale Vertriebswege floriert, Stichwort Internet. Der illegale Handel mit Arzneimitteln über das Web entzieht sich oft der vollständigen Kontrolle der Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden. „Die hierzu vorliegenden polizeilichen Erkenntnisse ergeben sich deshalb aus Einzelfällen“, so das Bundeskriminalamt (BKA).
Das ideale Konzept „Hersteller – Großhändler – Apotheke – Patient“ spiegelt den aktuellen Apothekenalltag daher nicht unbedingt wider. Die Lieferketten sind viel komplizierter. Der innerhalb der EU gesetzlich vorgesehene Parallelhandel begünstigt laut BKA die Möglichkeit, gefälschte Arzneimittel in den legalen deutschen Markt einzubringen. Arzneimittel können auf diesem Weg zahlreiche Handelsstationen in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten durchlaufen. Der beziehende Parallelhändler müsse immer nur seinen direkten Anbieter verifizieren. „Der gesamte Handelsweg des Arzneimittels und dessen tatsächliche Herkunft bleiben ihm verborgen.“ Illegale Arzneimittel würden vor allem aus Süd- und Osteuropa, Südostasien und auch aus Afrika nach Deutschland gelangen.
Ganz vermeiden lässt sich die Arzneimittelkriminalität wahrscheinlich nicht. Dazu müssten vermutlich neue Verordnungen und Gesetze erlassen und auch auf internationaler Ebene harmonisiert werden. Aber der Hersteller von Viagra ist daran interessiert, Fälschungen entgegenzuwirken: „Ein Spezialisten-Team fahndet weltweit nach gefälschten Arzneimitteln. Die Mitarbeiter durchsuchen zum Beispiel regelmäßig das Internet nach einschlägigen Online-Anbietern, führen Testkäufe in Apotheken durch“, sagt eine Sprecherin von Pfizer.
In Zusammenarbeit mit Zulassungsbehörden, Großhändlern und den Apothekerverbänden würden kontinuierlich neue Technologien entwickelt, die das Fälschen erschwerten und es erleichterten, Fälschungen zu entdecken. Essentiell sei die Sicherheit der Lieferkette: „Die für unsere Medikamente verwendeten Wirkstoffe werden innerhalb eines geschlossenen Liefersystems verarbeitet und geliefert. Wir könne jederzeit überprüfen, wo sich diese Wirkstoffe im Pfizer-Liefer- und Herstellungsprozess befinden“, so Pfizer. In der Pfizer-Lieferkette in Deutschland habe es seit mindestens zehn Jahren keine einzige Fälschung gegeben.
Weiterhin kooperiert Pfizer mit der Initiative Securpharm, um die Sicherheit von Arzneimitteln der legalen Vertriebskette zu gewährleisten: „Ab 2019 wird es zusätzliche Sicherheitsmerkmale bei Arzneimittelverpackungen geben. Dazu gehört ein Erstöffnungsschutz, über den erkennbar ist, ob die Packung schon geöffnet wurde oder unversehrt ist“, teilt der Hersteller mit. Hinzu komme ein individuelles Erkennungsmerkmal (Unique Identifier), das jede Packung zum Unikat und über den enthaltenen Produktcode eindeutig identifizierbar mache.