Siponimod: Novartis erhält Zulassungsempfehlung Alexandra Negt, 21.11.2019 13:49 Uhr
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) spricht sich für die Zulassung von Siponimod aus. Erhält das Arzneimittel eine Zulassung, würde es sich um die erste und einzige oral einzunehmende Therapie in Europa handeln, die eine spezifische Indikation für Patienten mit aktiver sekundär progredienter Multipler Sklerose (SPMS) besitzt.
Der Wirkstoff wird von der EMA zur Behandlung von Patienten ab 18 Jahren mit SPMS und aktiver Erkrankung, nachgewiesen durch Schübe oder Entzündungsaktivität in der Bildgebung, empfohlen. Die MS-Progression verläuft bei jedem Patienten unterschiedlich und wird von mehreren Faktoren beeinflusst, einschließlich der Verwendung krankheitsmodifizierender Therapien. Eine SPMS entwickelt sich bei bis zu 80 Prozent der Patienten mit schubförmig-remittierende MS (RRMS) im weiteren Krankheitsverlauf.
Die Empfehlung basiert auf der Phase-III-Studie Expand. Innerhalb der Studie konnte unter der Einnahme von Siponimod eine signifikante Reduktion des Risikos für Krankheitsprogression einschließlich körperlicher und kognitiver Einbußen bestätigt werden. Bei der Expand-Studie handelt es sich um eine randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Phase-III-Studie, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Siponimod gegenüber Placebo bei SPMS-Patienten belegen soll.
Die Ergebnisse zeigen für die gesamte Studienpopulation, dass Siponimod das Risiko einer nach drei Monaten bestätigten Behinderungsprogression signifikant reduzierte und das Risiko einer nach sechs Monaten bestätigten Behinderungsprogression deutlich verzögerte.
Für die Subgruppe der Patienten mit aktiver Erkrankung, die mit Siponimod behandelt wurden, zeigte sich darüber hinaus eine Reduzierung der jährlichen Schubrate um 46 Prozent gegenüber Placebo. Die Studie bestätigte desweiteren positive Effekte von Siponimod auf andere relevante Parameter der MS-Aktivität, einschließlich Krankheitsaktivität im MRT und Hirnvolumenverlust. Die Volumengröße steht im wesentlichen Zusammenhang mit der Behinderungsprogression und den kognitiven Einbußen bei Patienten mit SPMS. Der Volumenverlust der grauen Hirnsubstanz konnte nach ein und zwei Jahren reduziert werden. Die Daten zeigen, dass Patienten unter der Behandlung mit Siponimod ihre Gefähigkeit im Durchschnitt vier Jahre länger erhalten können.
Siponimod ist ein selektiver Modulator des Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptors. Der Wirkstoff bindet selektiv an S1P1- und S1P5-Rezeptoren. In Bezug auf den S1P1-Rezeptor verhindert Siponimod, dass die Lymphozyten aus den Lymphknoten austreten und in der Folge in das Zentralnervensystem (ZNS) von MS-Patienten gelangen. Dies führt zur entzündungshemmenden Wirkung von Siponimod. Die Substanz tritt auch in das ZNS ein und bindet dort direkt an spezifischen Zellen, einschließlich Astrozyten und Oligodendrozyten. Der Wirkstoff zeigte remyelinisierende und neuroprotektive Effekte in präklinischen MS-Modellen.
Siponimod ist eine Weiterentwicklung von Fingolimod (Gilenya, Novartis). Während der unspezifische Rezeptormodulator Fingolimod am Herzen auch kardiologische Nebenwirkungen auslösen kann, soll Siponimod ein besseres Sicherheitsprofil aufweisen.
In den USA erhielt Novartis bereits im März 2019 die Marktzulassung. Im November 2019 folgte die Zulassung für Australien. Nun soll die Zulassung in Europa folgen. Weitere Zulassungsanträge sind in der Schweiz, Japan, Kanada und China eingereicht.
Bei MS handelt es sich um eine chronische Erkrankung des Zentralnervensystems (ZNS), die die normale Funktion von Gehirn, Sehnerven und Rückenmark durch Entzündungen und Gewebeverlust stört. Erste Symptome sind oftmals diffuse Kopfschmerzen und Schwindel mit Sehbeeinträchtigungen ähnlich einer Aura innerhalb eines Migräneanfalls. Weltweit sind rund 2,3 Millionen Menschen betroffen.
Man unterscheidet drei Formen:
- Primär progrediente MS (PPMS)
- Schubförmig-remittierende MS (RRMS)
- Sekundär progrediente MS (SPMS)
Die Erkrankung ist bislang nicht heilbar. Die Therapie mit Immunmodulatoren kann die Schubhäufigkeit der schubförmigen-remittierenden Form reduzieren.
Zur Basistherapie werden häufig Interferone oder Fumarsäuredimethylester (Tecfidera, Biogen) eingesetzt. Innerhalb der Eskalationstherapie kommen bislang monoklonale Antikörper wie Alemtuzumab (Lemtrada, Sanofi/Genzyme) zum Einsatz. Als Zweitlinientherapie oder bei progredienten Formen werden Zytostatika wie Methotrexat oder Cyclophosphamid eingesetzt. Bei einem akuten Schub wird Kortison in hohen Dosen über drei bis fünf Tage gegeben. Die positiven Eigenschaften von Cannabis in Bezug auf schmerzhafte Spastiken werden diskutiert.