Sildenafil bleibt Rx: Chance verpasst Patrick Hollstein, 12.07.2023 12:58 Uhr
Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht (SVA) macht seinem Namen alle Ehre – drei von vier Anträgen wurde eine Absage erteilt. Unter anderem den OTC-Switches von Sildenafil und Tadalafil. Die Expert:innen haben erneut die Chance verpasst, umstrittenen Portalen wie GoSpring die Grundlage zu nehmen und den Schwarzmarkt einzudämmen, kommentiert Nadine Tröbitscher.
Zwei Anträge für PDE-5-Hemmer standen auf der Agenda des SAV – der OTC-Switch von Sildenafl 25 mg und Tadalafil 10 mg. Das Ergebnis ist identisch: Der Antrag ist abzulehnen, so die mehrheitliche Empfehlung. Somit ist Sildenafil im zweiten Anlauf und Tadalafil im ersten Anlauf gescheitert – vorerst. Hoffentlich. Denn das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist das Zünglein an der Waage und muss der Empfehlung des SAV nicht folgen. Was zu wünschen wäre, denn für Apotheken und Patienten böten die Switches eine große Chance.
Zum einen können Apotheken zeigen, dass Beratung eine der wichtigsten Kernkompetenzen ist und zum anderen ist der niedrigschwellige Zugang für die Betroffenen gesichert. Die Nachbarländer zeigen seit einigen Jahren, dass eine Abgabe von Sildenafil im Rahmen der Selbstmedikation möglich ist. Betroffene müssen einen Fragebogen ausfüllen und Apothekenmitarbeiter entsprechend geschult sein.
Nicht zu unterschätzen ist der Punkt, dass ein Switch erheblich zur Entstigmatisierung der erektilen Dysfunktion beitragen könnte. Außerdem sind die Zahlen eindeutig. Hierzulande gibt es laut Statista gerade einmal rund 6600 Urolog:innen. Eine Erhebung zeigt, dass es nur rund 2100 niedergelassene Praxen gibt, wobei die Versorgung auf dem Land schlechter ist als in Großstädten. Überwinden sich Männer also, aufgrund einer erektilen Dysfunktion eine Praxis aufzusuchen, ist Geduld gefragt. Denn Termine sind rar gesät. Ein Großteil der Patienten ist und bleibt unbehandelt. Apotheken könnten die Praxen zudem mit der Ausstellung von Bagatellrezepten entlasten.
Hier kommen umstrittene Portale ins Spiel. Ein Beispiel ist GoSpring. Das Portal hat sich Männergesundheit und eine schnelle Lösung bei erektiler Dysfunktion auf die Fahne geschrieben – und lässt sich für den Doppelservice Arzt plus Apotheke fürstlich bezahlen. Dieses Modell wird durch die Entscheidung gestärkt und die Apotheke vor Ort ist im Nachteil. Ein OTC-Switch hätte im Gegenteil für mehr Sicherheit gesorgt, man hätte die Abgabe sogar auf Vor-Ort-Apotheken beschränken können – wie bei der Pille danach.
Deutschland hinkt also wieder einmal hinterher. Ein ähnliches Szenario spielte sich beim OTC-Switch der Notfallkontrazeptiva ab, der erst über die EU forciert wurde und den die Apotheken im Anschluss erfolgreich gemanagt haben. Trotz aller Bedenken und Proteste. Will Deutschland wieder einmal warten? Und das, obwohl die Nachbarländer zeigen, dass ein Switch von Sildenafil (Polen, Großbritannien, Irland, Schweiz, Norwegen und sogar Neuseeland) sowie Tadalafil (Polen) sicher ist. Denn: Die Studienlage ist eindeutig und keine negativen Auswirkungen bekannt.