Seneszenz: Sars-CoV-2 lässt Zellen altern Cynthia Möthrath, 17.09.2021 14:27 Uhr
Schwere Covid-Verläufe können in jeder Altersklasse auftreten. Ein Forscherteam der Charité hat nun herausgefunden, was dahinterstecken könnte: Demnach sorgt Sars-CoV-2 dafür, dass die Zellen der Atemwege und des Immunsystems in einen vorzeitigen Ruhezustand versetzt werden. Die Forscher:innen suchen bereits nach möglichen Therapieansätzen. Ihre Ergebnisse wurden im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
Nimmt die Covid-Erkrankung einen schweren Verlauf, kann dies zu verschiedenen Komplikationen führen: Bei Betroffenen kommt es zu Thrombosen oder einem folgeschweren Zytokinsturm, welcher häufig zu einem Multiorganversagen mit Todesfolge führt. Als Auslöser für einen schweren Verlauf wurden bereits verschiedene Faktoren diskutiert. Forscher:innen der Charité um Professor Clemens Schmitt wollen nun einen entscheidenden Mechanismus identifiziert haben.
Seneszens: Wenn Zellen in Rente gehen
Sars-CoV-2 versetze erst die Zellen der Atemwege, später auch die Fresszellen des Immunsystems in einen vorzeitigen Ruhezustand, die sogenannte „Seneszenz“. Eigentlich tritt dieser Zustand erst bei einer Überalterung der Zellen ein, um sie vor einer Entartung und damit einer Krebsentstehung zu schützen. Die Folge sind Gewebeschäden und eine massive Ausschüttung von Entzündungs-Botenstoffen.
An Zellkulturen und Schleimhautproben aus Atemwegen und Lungen von Covid-Patient:innen hat das Team den Einfluss der Seneszenz bei der Covid-Infektion erforscht. Dabei zeigte sich, dass Sars-CoV-2 eine ganze Kaskade von Reaktionen auslöst. Dadurch entstehe eine lawinenartige Entzündungsreaktion, welche mit schweren Verläufen, Lungenentzündungen und einem Zytokinstum enden.
Zell-Ruhestand als Erklärung für Zytokinsturm & Co.
Zunächst würden die Atemwegszellen in einen Ruhezustand versetzt. Durch die Produktion von Botenstoffen werden Makrophagen angelockt, welche in die Schleimhäute einwandern. Dann werden schließlich auch die Fresszellen in einen seneszenten Zustand versetzt und schütten ebenfalls Zytokine aus. „Wenn die seneszenten Makrophagen in die Lunge gelangen, induzieren sie dort ebenfalls eine Seneszenz, vor allem bei den Endothelzellen“, berichten die Wissenschaftler:innen. Das führe zu Gewebeschäden und fördere eine Lungenentzündung. „Unsere Studien identifizieren Makrophagen als entscheidende zelluläre Boten für diesen Prozess.“
Außerdem würde dieser Prozess auch die Thrombosen erklären, denn die Seneszenz führe dazu, dass die Zellen der Blutgefäßwände verklumpungsfördernde Substanzen abgeben. „Offenbar ist das zelluläre Stressprogramm der Seneszenz ein sehr wichtiger Treiber eines Entzündungssturms, der eine Vielzahl charakteristischer Merkmale der Covid-19-Lungenentzündung, wie Gefäßschädigungen oder Mikrothrombosen, maßgeblich verursacht“, erklärt das Team.
Neuer Ansatz für Therapien?
Es biete allerdings auch einen neuen Ansatzpunkt für mögliche Therapien: Denn würde das Seneszenz-Programm verhindert, würden auch die schweren Verläufe weniger dramatisch ausfallen. Das Team nahm daher bereits verschiedene Wirkstoffe unter die Lupe, die gezielt seneszente Zellen angreifen und damit die Kaskade blockieren – sogenannte „Senolytika“.
Im Tierversuch wurden die pflanzlichen Wirkstoffe Fisetin und Quercetin, sowie die Substanzen Navitoclax und Dasatinib untersucht. Alle vier Vertreter zeigten sich allein oder in Kombination wirksam. Besonders effektiv sei eine Kombination aus Dasatinib und Quercetin gewesen: Alle Tiere überlebten und zeigten keine Krankheitsanzeichen. „Diese Ergebnisse sind sehr ermutigend.“ Das Team sieht den Therapieansatz als vielversprechend. Allerdings müssten zuvor noch offene Fragen wie die richtige Dosis, der richtige Zeitpunkt und die Dauer der Therapie erforscht werden. Auch mögliche Nebenwirkungen müssten im Blick behalten werden.