Selen schützt Gehirnzellen APOTHEKE ADHOC, 05.01.2018 13:11 Uhr
200 Jahre nach Entdeckung von Selen konnten Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München erstmals zeigen, warum das Spurenelement essenziell für Mensch und Tier ist.
Die Arbeitsgruppe um Dr. Marcus Conrad, Gruppenleiter am Institut für Entwicklungsgenetik (IDG), forscht seit einigen Jahren an der Ferroptose. Dabei handelt es sich um eine regulierte Form des Zelltods, die durch Aktivitätsverlust des Lipidreparaturenzyms Glutathionperoxidase 4 (GPX4) und anschließende Akkumulation reaktiver Sauerstoffspezies auf Lipidbasis (ROS), insbesondere Lipidhydroperoxide, ausgelöst wird. Diese Form des eisenabhängigen Zelltodes unterscheidet sich genetisch, biochemisch und morphologisch von anderen Zelltodmodalitäten, einschließlich Apoptose, unregulierter Nekrose und Nekroptose.
GPX4 ist eines von 25 Selenoproteinen im Menschen. Bei der Ferroptose scheint das Enzym eine entscheidende Rolle zu spielen, es enthält das Spurenelement in Form der 21. proteinogenen Aminosäure Selenocystein. „Um die Rolle von GPX4 besser zu beschreiben, hatten wir Mausmodelle etabliert und untersucht, bei denen das Enzym verändert war“, erklärt Conrad. „Dabei fiel uns vor allem eines auf, bei dem GPX4 nicht mit Selen, sondern mit Schwefel gebildet wird.“ Den Wissenschaftlern zufolge konnte dieses Modell aufgrund neurologischer Komplikationen maximal drei Wochen überleben.
Auf der Suche nach den Ursachen stießen die Forscher auf bestimmte Nervenzellen im Gehirn, die ohne selenhaltiges GPX4 fehlten. „In weiteren Untersuchungen konnten wir zeigen, dass diese Nervenzellen während der Entwicklung durch Ferroptose zugrunde gegangen waren, wenn kein selenhaltiges GPX4 vorlag“, so Erstautorin Irina Ingold.
Weiterhin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der eisenabhängiger Zelltod vor allem durch starken oxidativen Stress ausgelöst wird. „Unsere Studie belegt zum ersten Mal, dass Selen ein essenzieller Faktor für die postnatale Entwicklung eines ganz bestimmten Typs von Nervenzellen ist“, ordnet IDG-Wissenschaftler Dr. José Pedro Friedmann Angeli die Ergebnisse ein. „Selenhaltiges GPX4 schützt die Nervenzellen vor oxidativem Stress und dem dadurch bedingten Absterben.“
Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Cell“ veröffentlicht. Künftig will Conrad mit seinem Team untersuchen, wie und wo genau in der Zelle die Ferroptose ausgelöst wird. Langfristig gehe es ihm darum, die Rolle der Ferroptose bei verschiedenen Erkrankungen zu verstehen, um derzeit noch nicht oder nur schwer therapierbare Erkrankungen wie Krebs oder Neurodegeneration lindern zu können.
Beispielsweise sind diffuse große B-Zell-Lymphome und Nierenzellkarzinome besonders anfällig für eine GPX4-regulierte Ferroptose. Ihre Hemmung kann einen vielversprechenden therapeutischen Ansatz zur Behandlung von pathologischen Zuständen wie akuter Nierenschädigung darstellen.