Antibiotika

Schnellschuss-Antibiose vom Zahnarzt APOTHEKE ADHOC, 11.01.2017 08:52 Uhr

Unbeeindruckt von Antibiotika-Resistenzen: Zahnärzte verordnen in vielen Fällen unspezifische Kombinationen mit breitem Wirkspektrum. Foto: DAK
Berlin - 

Im vergangenen Jahr kamen in Deutschland etwa 30 Millionen der verordneten Tagesdosen (DDD) Antibiotika vom Zahnarzt. Nach den Zahlen aus dem Arzneimittelverordnungsreport sind das mehr als acht Prozent der von den Krankenkassen erstatteten Antibiotika. Zahnärzte scheinen unbeeindruckt von der Debatte über Resistenzen zu sein, denn in den meisten Fällen werden unspezifische Kombinationen mit breitem Wirkspektrum verordnet. Im Falle einer Parodontitis war die verordnete Antibiose in etwa 75 Prozent der Fälle unnötig.

Zahnmediziner setzten vor allem auf die Kombination aus Amoxicillin und Metronidazol. Dieser „van-Winkelhoff-Cocktail“ wird von Max Koltzscher, Laborleiter der Carpegen GmbH, skeptisch betrachtet. „Für 75 Prozent der Parodontitis-Patienten stellt eine unterschiedslose Gabe eine Übertherapie ohne Zusatznutzen dar.“ Vor allem der Einsatz von Amoxicillin ist diskussionbedürftig, etwa 14 Millionen DDD wurden verordnet – fast die Hälfte aller zahnärztlichen Verordnungen.

„Gerade bei Parodontitis-Patienten ist Amoxicillin eigentlich nur indiziert, wenn ein pathogener Befall mit Aggregatibacter actinomycetemcomitans (AA) nachgewiesen ist. Doch dieser Keim ist nach unseren Untersuchungen nur an jedem vierten Parodontitis-Fall überhaupt beteiligt“, erklärt Koltzscher. AA ist vor allem für die aggressive Form der Parodontitis verantwortlich. Klinische Anzeichen allein lassen jedoch nicht auf die Art des Bakterium schließen. Einen genauen Aufschluss könne nur ein Abstrich liefern. Parodontologen nutzen diesen Test offenbar zu wenig und verordnen gleich die Kombination.

Im Rahmen der Parodontitis-Behandlung sollten vorab die klinischen Anzeichen untersucht werden. Bei diesem Besuch findet eine Messung der Taschentiefe statt, das zerstörte Gewebe sowie das Vorliegen von Blut und Eiter wird untersucht. „In diesem Zuge kann gleich ein Abstrich der Zahntasche vorgenommen werden“, so Koltzscher. Ein Ergebnis trifft nach etwa zwei Tagen beim Zahnarzt ein, der dann eine gezielte Antibiose ansetzen kann, sofern diese überhaupt notwendig ist.

Die Wartezeit stelle kein Problem für die Behandlung dar, denn eine mechanische Behandlung, also ein Reinigen der Zahntaschen, erfolgt erst in einer weiteren Sitzung. „Um die Schmerzen für den Patienten erträglich zu halten, sollte die Behandlung in zwei Sitzungen stattfinden", so Koltzscher. Die Gabe eines Antibiotikums erfolgt im Anschluss. Dieses sei ohnehin nicht wirksam solange die pathogenen Keime im Biofilm sitzen, da sich die Bakterien im Plaque gegenseitig schützen. Erst wenn der Biofilm aufgebrochen ist, könne das Antibiotikum wirken.

Der Test zur Bestimmung der Bakterienkultur wird nicht von den Krankenkassen übernommen und kostet etwa 65 Euro. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie empfiehlt den Test im Rahmen der Parodontitis-Behandlung. Nicht nur Resistenzen sondern auch Nebenwirkungen wie etwa eine Clostridium-difficile-assoziierte-Diarrhoe könnten seltener werden. Vor allem Amoxicillin und Clindamycin zählen zu den Verursachern des potentiell lebensbedrohlichen Durchfalles.

Der Namensgeber des van-Winkelhoff-Cocktails warnt ebenfalls vor einer unreflektierten Antibiotika-Gabe. Angesichts steigender Resistenzen empfiehlt er den verstärkten Einsatz mikrobiologischer Analysen.

In Deutschland leidet fast jeder zweite Erwachsene an einer Parodontalkrankheit. Unbehandelt kann eine Parodontitis zum Abbau des zahntragenden Knochens und somit zum Zahnverlust führen. Die Erkrankung ist eine chronische und meist schmerzfreie Entzündung. Erste Anzeichen können Zahnfleischbluten und ein geschwollenes dunkelrotes Zahnfleisch sein.

Zahnärzte verordnen ebenso im Rahmen eines Eingriffes prophylaktisch ein Antibiotikum, mit dem die Patienten meist einen Tag vor der Behandlung starten sollen. Während einer Operation werden Bakterien ins Blut geschwemmt. Ist das Immunsystem intakt, kann es die pathogenen Keime unschädlich machen. Eine Prophylaxe ist hingegen bei Risikopatienten, die zum Beispiel unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden, geeignet.

Amoxicillin ist ein Breitbandantibiotikum. Das Aminopenicillin zählt zu den Beta-Lactamen und ist gegen gram-positive und einige gram-negative Bakterien wirksam. Der Zusatz von Clavulansäure kann das Wirkspektrum ausweiten, denn der Beta-Lactamase-Inhibitor verhindert die Inaktivierung von Amoxicillin durch das Bakterienenzym.