Sollen Patienten ab 65 Jahren Schlafmittel nur noch auf Rezept bekommen? Darüber diskutiert morgen in Bonn der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht. Professor Dr. Ingo Fietze, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums an der Charité und Vorsitzender der Deutschen Stiftung Schlaf, warnt vor einer drohenden „extremen Versorgungslücke“.
Fietze räumt ein, dass zum Schutz der Patienten vor eventuellen Nebenwirkungen gewisse Regularien notwendig seien. „Für die Antihistaminika brauchen wir jedoch keine Verschreibungspflicht, sondern mehr Aufklärung und mehr kompetente schlafmedizinisch tätige Ärzte.“
Man tue älteren Menschen mit akuten oder chronischen Schlafstörungen keinen Gefallen, wenn man ihnen die wenigen noch frei verfügbaren Mittel vorenthalte beziehungsweise den Zugang erschwere, mahnt Fietze. „Das kann man machen, wenn es ein breites Netzwerk von Schlafmedizinern, die aufklären, helfen und behandeln, gibt. Doch davon sind wir weit entfernt.“ Aus seiner Sicht gibt es in Deutschland eine „extreme Versorgungslücke“, was die Betreuung von Patienten mit einer chronischen Schlafstörung betrifft.
Daher wäre anstelle von Restriktionen eine intensivere Information der Patienten über das Thema Schlaf, den Umgang mit Schlafstörungen und die Anwendung von schlaffördernden Mitteln angezeigt. „Will man den Schlafmittelgebrauch bei Älteren beeinflussen, dann sollte man mit einer besseren Aufklärung der Betroffenen, der Pflegenden, der Betreuer, der Apotheker sowie der Hausärzte und Allgemeinmediziner anfangen. Das hilft mehr als eine neue Regelung, die zudem auf fraglicher Evidenz beruht.“
Aus seiner klinischen Erfahrung funktioniere der Umgang mit Schlafmitteln über eine begrenzte Zeit „sehr gut“. Gerade für ältere Menschen seien entsprechende OTC-Medikamente hilfreich, weil sie oft nur als Bedarfsmedikation benötigt würden und die Betroffenen gar kein vom Arzt verschriebenes Medikament haben wollten – allein schon wegen des zusätzlichen Weges. „Viele ältere Patienten nutzen diese Mittel vor besonderen Tagen, an denen sie ausgeschlafen sein wollen oder auf Reisen oder bei der Gewöhnung an eine fremde Schlafumgebung, oder um sich zumindest einmal in der Woche auszuschlafen.“
Dennoch sei keine medikamentöse Therapie so verpönt und voller Mythen wie die Schlafmitteltherapie. „Dabei haben wir Schlafmediziner nur wenige Medikamente im Portfolio und von diesen sind nur pflanzliche Präparate, Tryptophan und die hier genannten Antihistaminika frei verkäuflich.“ Ein Missbrauch dieser wenigen Hilfsmittel sei weltweit nicht bekannt. „Der Schlafmittelgebrauch nimmt zwar stetig zu, aber vor allem deswegen, weil die Anzahl der Schlafgestörten wächst. Dagegen muss eher etwas getan werden“, so Fietze.
Dass bei verminderter nächtlicher Aufmerksamkeit erwiesenermaßen eine erhöhte Sturzgefahr bestehe, ist aus seiner Sicht kein Argument für einen Rx-Switch: Eine wissenschaftliche Untersuchung habe nachgewiesen, dass insbesondere die Personen gefährdet sind, die schlaffördernde Mittel zum ersten Mal oder nur sehr selten nehmen. „Diejenigen, die regelmäßig ein Schlafmittel nehmen, stürzen weniger. Sicher auch, weil sie besser schlafen – ein Schlafdefizit macht auch unaufmerksam und steigert die Sturzgefahr.“
Was man also eher brauche als eine Rezeptpflicht, sei Aufklärung, wie man Schlafstörungen verhindern kann – „damit das Heer der Schlaflosen nicht weiter wächst und wächst“. „Eine Aufklärung, die wie man heute sagt, Evidenz- basiert ist und die sich an routinierter exzellenter klinischer Praxis orientiert.“
Der Sachverständigenausschuss muss über einen Antrag entscheiden, nach dem Antihistaminika der ersten Generation mit sedierender Wirkung bei Patienten über 65 Jahren nur noch auf Rezept erhältlich sein sollen. Zu dieser Wirkstoffgruppe zählen neben Doxylaminsuccinat beispielsweise Dimenhydrinat und Diphenhydramin.
Die Substanzen sind nicht spezifisch für den H1-Rezeptor, daher durchdringen sie die Blut-Hirn-Schranke und lösen zentrale Nebenwikungen wie Schwindel oder Müdigkeit aus. Alle drei Wirkstoffe stehen auf der Priscus-Liste: Bei Doxylamin bestehe eine erhöhte Sturzgefahr für ältere Patienten. Diphenhydramin soll außerdem im Zusammenhang mit kognitiven Beeinträchtigungen älterer Personen stehen. Zudem scheinen Diphenhydraminpatienten ein erhöhtes Risiko für Delir-Symptome aufweisen.
Es wäre die erste gezielte Verkaufsabgrenzung für Senioren; Triptane dürfen ebenfalls nur bis zum Alter von 65 Jahren rezeptfrei abgegeben werden, was allerdings auf die Zulassung zurückzuführen ist. Schon bei einer früheren Sitzung des Sachverständigenausschusses wurde darum gebeten, einen entsprechenden Antrag auf Unterstellung von Doxylamin unter die Verschreibungspflicht bei älteren Patienten zu stellen. Es wurde auch darum gebeten, eine generelle Verkaufsabgrenzung für Ältere zu überdenken.
Damals sprach sich der Sachverständigenausschuss mehrheitlich für einen Rx-Switch von Doxylamin aus: Zur Behandlung von Schlafstörungen bei Kindern bis zum Alter von 18 Jahren gibt es entsprechende Präparate seit Anfang des Jahres nur noch auf Rezept.
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