Eine Grippeschutzimpfung kann aus Expertensicht auch in diesen Tagen noch ratsam sein – trotz bislang vergleichsweise niedriger Infektionszahlen. Der weitere Verlauf der Influenzasaison sei noch mit vielen Unwägbarkeiten verbunden, für Entwarnung sei es aber in jedem Fall zu früh, sagte Grippe-Expertin Silke Buda vom Robert Koch-Institut (RKI).
Bislang seien die wissenschaftlichen Kriterien für den Beginn der Grippewelle in Deutschland zwar nicht erfüllt. Dass sich der Erreger aber in den kommenden Wochen noch verstärkt ausbreitet, ist Buda zufolge nicht ausgeschlossen. „Es ist noch nicht zu spät für Impfwillige, sich die Grippeschutzimpfung geben zu lassen. Im Gegenteil, in der derzeit unklaren Situation wäre es sogar besonders gut“, sagte Buda.
In der Regel beginnen saisonale Grippewellen nach dem Jahreswechsel, der Höhepunkt wird häufig Ende Februar, Anfang März erreicht. Vor diesem Hintergrund wird normalerweise ab dem Herbst geimpft.
„Die Besonderheit in dieser Saison ist, dass ein größerer Teil der Bevölkerung wegen der ausgefallenen Grippesaison 2020/21 nicht durch eine natürliche Infektion geboostert wurde. Dadurch lässt sich weniger gut abschätzen, was passieren wird.“ Beim RS-Virus zum Beispiel, das kleineren Kindern gefährlich werden kann, habe sich seit dem Spätsommer 2021 eine ungewöhnlich starke Verbreitung gezeigt, auch unter dem Einfluss der Pandemie und der Kontaktbeschränkungen.
Vorteilhaft sei in jedem Fall, dass die Abstands- und Hygieneregeln zum Schutz vor Corona auch die Ausbreitung der Influenza hemmen, sagte Buda. „Auch die Maske hilft gegen alle Erreger von Atemwegserkrankungen.“ Sie hoffe auch vor diesem Hintergrund, dass es nicht zu einer zu starken Grippewelle diesen Winter komme, sondern dass das Infektionsgeschehen langsam wieder in das übliche saisonale Muster übergehe.
Die Zahl der bestätigten Fälle von Grippe in Deutschland seien in den vergangenen Wochen angestiegen, doch dann sei die Entwicklung gedämpft worden – vermutlich auch beeinflusst durch Weihnachten, den Jahreswechsel und die Schulferien. Gemeldet wurden dem RKI knapp 1000 Fälle seit Anfang Oktober, von denen rund ein Viertel im Krankenhaus behandelt wurde. Ob und wie stark die Grippe-Aktivität noch ansteigt, sei nicht vorhersagbar, sagte Buda. Das bisherige Niveau an Fällen liegt über dem des vergangenen Winters, aber niedriger als in den Saisons vor der Pandemie.
Der Virustyp A(H3N2) zirkuliere derzeit hauptsächlich in Europa, sagte Buda. Er sei erst mit der Influenzapandemie 1968 in die Bevölkerung gekommen und habe in den folgenden Jahrzehnten häufig schwerere saisonale Wellen verursacht. Kinder steckten sich häufig damit an, problematische Krankheitsverläufe träfen jedoch vor allem die älteren Menschen. „Die ersten Laborergebnisse zur Passgenauigkeit des Impfstoffs sehen nicht schlecht aus“, sagte Buda.
Es ist möglich, dass im Lauf des Winters ein anderer Virustyp, etwa vom Typ B, das Geschehen übernimmt und sich die Situation nochmals verändert. Für die WHO Region Europa habe die Grippesaison mit erhöhter Influenza-Aktivität Anfang Dezember 2021 begonnen, schreibt die Arbeitsgruppe Influenza (AGI) am RKI in ihrem Wochenbericht vom Mittwoch zur internationalen Lage. In der ersten Januarwoche hätten sechs Länder Raten von mehr als zehn Prozent positiver Grippenachweise gemeldet.
Auch Frankreich wird neben Ländern wie Armenien, Belarus und Serbien genannt. Die Impfkampagne gegen die Grippe ist in unserem Nachbarland wegen der aktiven Viruszirkulation verlängert worden. Seit Anfang Oktober kamen 72 Menschen mit schweren Grippeverläufen auf die Intensivstation, sechs von ihnen starben. Die Zahl der Arztbesuche wegen Grippe stieg zuletzt deutlich an, liegt aber noch deutlich unter den Höhepunkten der Grippewellen in vorherigen Jahren.
Seit Beginn der Corona-Pandemie 2020 befürchten Experten, dass es etwa für Kliniken und Praxen zu einer massiven Doppelbelastung durch Corona und Grippe kommen könnte. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Grippeschutzimpfung unter anderem Menschen ab 60 Jahren, Schwangeren, Vorerkrankten und medizinischem Personal.
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