Transgene Pflanzen werden derzeit entweder für die Grundlagenforschung oder zur Ertragssteigerung von Nutzpflanzen verwendet. Forscher des John Inns Centre in Norwich haben nun im Fachjournal „Nature Communications“ einen neuen Ansatz präsentiert: Sie konnten Tomaten so verändern, dass biologisch wichtige Phenylpropanoide in großem Maßstab produziert wurden. Künftig sollen auf diese Weise auch Arzneimittel hergestellt werden.
Phenylpropanoide sind eine häufig vorkommende Klasse von Sekundärmetaboliten in Pflanzen. Sie spielen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel und haben vielfältige biologische Funktionen: So sind Flavonoide oft Farbstoffe oder agieren als UV-Schutz der Pflanze. Zimtsäure-Ester sind ein Bestandteil von ätherischen Ölen und damit für den charakteristischen Duft von Pflanzen verantwortlich.
Einige Vertreter der Gruppe haben ihren Platz im Sortiment von Nahrungsergänzungsmitteln gefunden: Das Antioxidans Resveratrol machte sich einen Namen als gesundheitsfördernde Komponente in Rotwein. Studien hatten Hinweise auf positive Wirkungen bei Krebserkrankungen, aber auch Alzheimer, Arthritis oder Herzerkrankungen ergeben. Sogar als Anti-Aging-Mittel wurde es zwischenzeitlich gehandelt.
Auch Genistein, ein Phenylpropan aus Sojabohnen, schaffte es in die wissenschaftlichen Fachjournale. Es soll eine Rolle in der Prävention von steroid-assoziierten Krebsarten spielen. Insbesondere das Brustkrebsrisiko soll sich durch die Einnahme von Genistein verringern.
Die Forschergruppe um Professor Dr. Cathy Martin untersuchte den Effekt eines Proteins, welches in die Phenylpropanoid-Biosynthese eingreift. Das Enzym, AtMYB12, reguliert eine große Anzahl von Genen, die die Biosynthese von Sekundärmetaboliten steuern. Auch die Produktion von Resveratrol in Wein und Genistein in Soja wird durch AtMYB12 hoch- oder herunterreguliert.
Die Funktion des Proteins machten die Forscher sich nun zunutze. Ihre Idee: Man müsste eine Pflanze, die natürlicherweise Phenylpropanoide produziert, so manipulieren, dass diese die gewünschten Metabolite in großem Umfang bildet. So könnten Resveratrol oder Genistein deutlich günstiger und einfacher produziert werden als durch eine aufwändige chemische Synthese im Labor.
Tomaten erschienen den Wissenschaftlern dabei als geeignetes Medium. Die Pflanzen wachsen sehr schnell und sind nicht anspruchsvoll. Für die Lebensmittelproduktion werden zum Beispiel bis zu 500 Tonnen Tomaten pro Hektar gezüchtet – eine Produktion von Wirkstoffen aus Tomaten wäre sogar im industriellen Maßstab möglich.
Sowohl das Protein-Erbgut als auch die Gene der Wirkstoffe müssten in die DNA der Tomatenpflanzen integriert werden können, welche dann selbstständig die Produktion übernehme, so die Theorie. Die Experimente führten zum Erfolg: Die transgenen Tomaten produzierten unter dem Einfluss des fremden Proteins Mengen von bis zu 80 mg pro kg der gewünschten Phenylpropanoide.
Bemerkenswert war aus Sicht der Forscher vor allem, dass AtMYB12 in der Pflanze gleich mehrere Veränderungen hervorruft. Es bindet an die Promotoren verschiedener Gene und aktiviert dadurch den Biosyntheseweg der Phenylpropanoide. Zusätzlich stellten die Forscher fest, dass der Energiehaushalt der Pflanze sich vollständig umstellte. Ein hoher Anteil der in der Pflanze vorhandenen Energie- und Kohlenstoff-Reserven wurde spezifisch für die Produktion der gewünschten Stoffe eingesetzt.
Das Ergebnis: Die Menge des produzierten Resveratrol und Genistein war deutlich höher als erwartet. Eine einzelne Tomate produziert dadurch so viel Resveratrol, wie in 50 Flaschen Wein zu finden ist. Die Menge an Genistein war equivalent mit der Menge in 2,5 kg Tofu.
Martin und ihre Kollegen glauben, dass ihre Erkenntnisse nicht nur für die Grundlagenforschung eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere die Möglichkeit, die Menge der gewünschten Stoffe gezielt beeinflussen zu können, heben die Forscher hervor.
Je nach Gehalt an bioaktiven Phenylpropanoiden könnten nach Ansicht der Wissenschaftler sogar die Früchte selbst eingesetzt werden. Alternativ dazu wäre eine Isolierung der bioaktiven Metabolite denkbar. Aufgrund der großen Menge sei eine Extraktion problemlos durchführbar.
Die Erkenntnisse öffnen aber auch die Tür für neue Möglichkeiten in der Gewinnung von Arzneistoffen. Zukünftig möchten die Forscher auch andere Stoffe durch Tomaten produzieren lassen. Denkbar sind zunächst vor allem Derivate aromatischer Aminosäuren. Aber auch Terpene oder Alkaloide, Grundstrukturen vieler Arzneistoffe, sollen zukünftig von den Pflanzen produziert werden.
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