Remdesivir: Zugang gestoppt Cynthia Möthrath, 31.03.2020 13:52 Uhr
Remdesivir gilt als Hoffnungsträger im Kampf gegen Covid-19: Viele Länder und Institutionen haben bereits Studien mit dem Wirkstoff gestartet. Nun hat Gilead den Zugang aufgrund der erhöhten Nachfrage jedoch gestoppt.
Notfallzugang überflutet
Der Wirkstoff kann derzeit nur über ein Zugangssystem für Notfallbehandlungen – den sogenannten „Compassionate Use“ – bezogen werden. Die derzeitige Pandemie überflute dieses System jedoch massiv: Eigentlich sei es nur für einen sehr eingeschränkten Zugang zu Prüfpräparaten eingerichtet worden – jedoch niemals als Reaktion auf eine Pandemie. Der Notfallzugang zum Wirkstoff könne durch die exponentiell ansteigende Nachfrage nicht mehr gewährleistet werden, erklärt Gilead in einer Pressemitteilung.
Keine neuen Anfragen möglich
Der Konzern arbeitet derzeit nach eigenen Angaben daran, zuvor genehmigte Anfragen zu bearbeiten. Gleichzeitig würden Möglichkeiten entwickelt, um einen erweiterten Zugang zu ermöglichen. Neue Anfragen zum „Compassionate Use“ von Remdesivir könnten derzeit jedoch nicht angenommen werden. „Dieser Ansatz wird sowohl den Zugang zu Remdesivir für schwerkranke Patienten beschleunigen, als auch die Erfassung von Daten aller teilnehmenden Patienten ermöglichen", erklärte der Konzern. Die Programme dazu würden sich mit den Regulierungsbehörden weltweit in einer „raschen Entwicklung“ befinden – die genauen Zeitpläne seien jedoch unklar. Je nach Region könnten sie aufgrund lokaler Gesetze und Vorschriften variieren.
Härtefall-Programm: Therapieoption ohne Zulassung
Eigentlich wird der sogenannte „Compassionate Use“ für Patienten verwendet, denen keine alternativen Therapien zur Verfügung steht. Außerhalb klinischer Studien kann dadurch Zugang zu Prüfpräparaten erteilt werden. Der „Compassionate Use“ wurde in Deutschland im Rahmen des 14. Änderungsgesetzes zum Arzneimittelgesetzes (AMG) in das nationale Arzneimittelrecht aufgenommen. Eigentlich dürfen noch nicht zugelassene Arzneimittel nur in klinischen Prüfungen verwendet werden: Durch diese Ausnahme können Wirkstoffe jedoch bei schwer kranken Patienten dennoch zur Verfügung gestellt werden. Die Therapie darf jedoch nur im Rahmen eines Härtefalles erfolgen – wenn keine therapeutische Alternative zur Verfügung steht.
Anmeldung bei den Arzneimittelbehörden notwendig
Der Hersteller muss das Arzneimittel dafür mit verschiedenen Nachweisen zur Qualität und bisherigen Studienergebnissen bei der Arzneimittelbehörde für das Härtefall-Programm anmelden. In Deutschland erfolgt dies beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Im Gegensatz zu einem Off-Label-Use sind die hier angemeldeten Wirkstoffe und Arzneimittel noch nicht zugelassen – auch nicht für eine andere Indikation.
Ebolamittel gegen Covid-19?
Ursprünglich wurde das Virusstatikum von Gilead zur Behandlung von Ebola entwickelt. Der Wirkstoff aus der Gruppe der Nukleosid-Analoga und RNA-Polymerase-Inhibitoren kann bei Infektionen mit RNA-Viren eingesetzt werden. Somit besteht ein breites Wirkspektrum, unter anderem gegen verschiedene Coronaviren, Ebolaviren und RSV (Respiratory-Syncytial-Virus). Die Wirkung beruht auf der Hemmung der RNA-Polimerase.
Während des Ebolaausbruchs im vergangenen Jahr testeten Wissenschaftler den Wirkstoff in der Demokratischen Republik Kongo zusammen mit drei anderen Behandlungen. Gegen Ebola zeigte sich keine ausreichende Wirkung. In vitro konnten Forscher der Universität von North Carolina in Chapel Hill zeigen, dass Remdesivir Coronaviren, die zum Ausbruch von Sars und Mers führen, hemmen kann. Mehrere Einzelberichte wollen zeigen, dass Covid-19-Patienten nach der Gabe von Remdesivir einen besseren Allgemeinzustand entwickelten. Auch in Europa soll bereits ein Mensch durch die Gabe des Wirkstoffes geheilt worden sein.
Mehrere deutsche Kliniken erproben Remdesivir
Derzeit wird der Wirkstoff auch in Deutschland erpobt: Die München Klinik Schwabing testet den Wirkstoff bundesweit. Das ursprünglich gegen Ebola entwickelte US-Präparat namens Remdesivir werde in einer international angelegten Studie an rund 1000 Patienten in rund 50 Kliniken rund um die Welt erprobt, teilte Chefarzt Clemens Wendtner von der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing mit. Das Medikament solle dabei an 600 Patienten mit moderaten Symptomen und an 400 mit schwerer Symptomatik erprobt werden.
Uniklinik Düsseldorf testet ebenfalls
Auch in der Uniklinik Düsseldorf wird geforscht: In ausgewählten Einzelfällen werden antivirale Medikamente eingesetzt, die für die Behandlung von Coronavirus-Patienten noch nicht zugelassen sind – unter anderem Remdesivir. Es handle sich dabei um sogenannte „individuelle Heilversuche“, die nur für bestimmte Patienten erwogen werden könnten. „Da aktuell noch keine belastbaren Daten zu Remdesivir in Bezug auf die Anwendung bei einer Infektion mit dem Coronavirus Sars-CoV2 am Menschen vorliegen, befindet sich das UKD gemeinsam mit zwei anderen Kliniken und dem Hersteller auf dem Weg zur Etablierung von entsprechenden Studien“, so die Uniklinik in ihrer Mitteilung. Laut dem Ärztlichen Direktor Professor Dr. Frank Schneider soll nun unter anderem der bestmögliche Zeitpunkt für den Einsatz des Medikamentes herausgefunden werden.
Zwei Studien in China gestartet
Auch chinesische Forscher starteten zwei klinische Studien mit dem Wirkstoff, da der genaue Wirkmechanismus gut bekannt ist: Das Prodrug hemmt nach seiner Aktivierung die RNA-Polymerase, die auch das neue Coronavirus braucht, um sich innerhalb der infizierten Zellen vermehren zu können. Die ersten beiden randomisierten klinischen Studien werden am China-Japan Friendship Hospital in Beijing durchgeführt: In den nächsten Wochen sollen 308 Patienten mit milder oder mittelschwerer und 452 Patienten mit schwerer Pneumonie durch eine bestätigte Sars-CoV2-Infektion auf eine Behandlung mit Remdesivir oder Placebo randomisiert werden. Die Studien sollen Anfang April abgeschlossen sein.