Eine aktuelle Phase-III-Studie konnte die Wirksamkeit von Amitriptylin beim Reizdarmsyndrom (RDS) bestätigen. Über 450 Proband:innen haben an der randomisiert-kontrollierten Doppelblind-Studie teilgenommen. Die Forschungsgruppe ermutigt Ärzt:innen, bei wirkungsloser Erstlinientherapie ihren RDS-Patient:innen niedrig dosiertes Amitriptylin anzubieten. Die Studienergebnisse wurden im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht.
Beim RDS handelt es sich um eine chronische Störung des Darms. Die Erkrankung schwankt mit einer Prävalenz von fünf bis zehn Prozent weltweit. RDS wirkt sich dabei sowohl auf die Darmbewegung als auch auf die Empfindlichkeit der Darmnerven aus. Die Symptome variieren häufig: Oftmals zählen Bauchschmerzen, Blähungen, Verstopfungen oder Durchfall zum Beschwerdebild.
Die Ursachen der Erkrankung sind nach wie vor unklar. Oft ist der Verdauungstrakt Betroffener besonders sensibel. Darmgase oder -kontraktionen können Beschwerden auslösen. RDS kann ebenfalls nach einer Gastroenteritis beginnen. Auch ernährungsbedingt sind zahlreiche Ursachen bekannt: Hochkalorische, fettreiche Mahlzeiten, Weizen, Milchprodukte, Bohnen, Schokolade, Kaffee, Tee, künstliche Süßstoffe sowie bestimmtes Gemüse und Steinfrüchte. Die genannten potenziellen Auslöser enthalten schwer verdauliche Kohlehydrate, die zu Gasbildung und Krämpfen führen können. Den genauen Grund für die Erkrankung zu ermitteln ist jedoch oft schwierig.
Die aktuelle Leitlinie für das Reizdarmsyndrom beschreibt eine Therapie in mehreren Schritten. Neben der Aufklärung über die Erkrankung sollte zunächst die Ernährung der Betroffenen unter die Lupe genommen und gegebenenfalls angepasst werden. Zudem sind viel Bewegung und meditative Entspannungsübungen sinnvoll. Zur kurzfristigen Linderung von Schmerzen können Spasmolytika verwendet werden, während Probiotika zur Wiederherstellung der Darmflora eingesetzt werden können. Kommt es dennoch nicht zu einer Beschwerdeverbesserung, greifen viele Hausärzte zu niedrig dosierten trizyklischen Antidepressiva wie Amitryptilin. Der Anwendungserfolg wurde nun in einer britischen Studie überprüft.
Ein Forschungsteam aus Leeds hat 463 Patient:innen mit Reizdarmsyndrom für ihre Studie rekrutiert. Davon waren 315 weiblich und 148 männlich. Sie hatten bereits alle Erstlinientherapieversuche ausgeschöpft. Die Proband:innen wurden nach dem Zufallsprinzip der Verum- oder Placebogruppe zugeteilt. Die Verumgruppe erhielt täglich 10 mg Amitriptylin. Die Dosis konnte von den Betroffenen bei Bedarf auf bis zu drei Tabletten pro Tag gesteigert werden. Die Studiendauer betrug sechs Monate. Außerdem wurde einem Teil der Proband:innen Informationsmaterial zur Therapie bereitgestellt.
Zur Dokumentation des Krankheitsverlaufs stand den Proband:innen das „irritable bowel syndrome - severity scoring system“ (IBS – SSS) zur Verfügung. Die Skalierung reicht von null – gar keine Symptome – mit zunehmender Schmerzintensität bis zu einem Maximum von 500 Punkten. Über den gesamten Studienzeitraum wurden darüber hinaus Daten zu Angst und Depression erhoben.
Bei den Teilnehmenden der Amitriptylin-Gruppe kam es zu einer Reduktion des IBS-SSS-Werts. Dieser sank nach sechs Monaten um 27 Punkte. Bei den Teilnehmenden der Placebogruppe war die Reduktion geringer. Die Wahrscheinlichkeit einer Symptomverbesserung war bei Patienten, die Amitriptylin erhielten, fast doppelt so hoch wie in der Kontrollgruppe. In diesem Zusammenhang konnte das Präparat als sicher und gut verträglich eingestuft werden. Das Forschungsteam erklärte außerdem, dass wenn die Gründe für den Einsatz eines trizyklischen Antidepressivums bei Reizdarmsyndrom durch Info-Material klar erläutert werde, die Adhärenz bei vielen Proband:innen gesteigert werden konnte.
Auffällig ist, dass sich die Werte für Angst und Depression während der sechs Monate nur in geringem Maße veränderten. Dies deutet darauf hin, dass die Wirkung von Amitriptylin hauptsächlich im Darm stattfindet. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass sie nicht auf seiner antidepressiven Eigenschaft beruht.
Die aktuelle Studie bestätigt mit seinen Ergebnissen ältere Erhebungen und festigt die vorliegende wissenschaftliche Grundlage. Ärzt:innen sollten – laut Forschenden – Erkrankte, bei denen Erstlinientherapien wirkungslos sind, niedrig dosiertes Amitriptylin anbieten. Die Therapierichtlinien sollten laut Forschungsteam überdacht werden, um diese Erkenntnisse widerzuspiegeln.
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