BGH: Retard-Quetiapin ist keine Erfindung APOTHEKE ADHOC, 02.03.2015 08:39 Uhr
Damit eine Erfindung patentiert werden kann, darf diese nicht zum Stand der Technik gehören und sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben. So steht es im Patentgesetz. Wie sieht der Fall bei der Retardformulierung eines patentfreien Arzneimittels aus? Keine Erfindung, urteilte jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) im Fall von Seroquel Prolong.
Im März 2012 war das Patent für Seroquel abgelaufen. Daraufhin kamen generische Varianten als Film- und Retardtabletten auf den Markt. Der Originalhersteller AstraZeneca intervenierte wegen einer angeblichen Patentrechtsverletzung: Lediglich das Wirkstoffpatent, nicht aber das Formulierungspatent für die Retardtabletten sei abgelaufen.
Tatsächlich konnte der Konzern eine einstweilige Verfügung erwirken, die Generika mussten wenige Wochen nach dem Start wieder vom Markt. Insgesamt mehr als ein Dutzend Generikafirmen waren betroffen, darunter Aliud, Heumann und Stada. Hexal hatte noch gar nicht ausgeliefert. Mehrere Firmen klagten – und erhielten im November 2012 Recht: Das Bundespatentgericht erklärte die verbliebenen Schutzrechte für nichtig. Die Ware konnte zurück auf den Markt.
Jetzt musste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage beschäftigen, ob die Entwicklung der Retardtablette eine erfinderische Tätigkeit war oder nicht. Für AstraZeneca ging es um Exklusivität bis 2017, um Entschädigung für die entgangenen Umsätze und um die Prozesskosten. Wie schon das Bundespatentgericht vertraten auch die Richter in Karlsruhe die Auffassung, dass es für die Experten des Pharmakonzerns allzu nahe gelegen haben musste, für Quetiapin eine Formulierung in Betracht zu ziehen, die eine möglichst konstante Freisetzungsrate über einen möglichst langen Zeitraum hinweg ermöglicht.
In dem mitunter bizarren Schlagabtausch hatten die Anwälte von AstraZeneca versucht, das Fachwissen der beiden beteiligten Mitarbeiter klein zu reden, jedoch ohne Erfolg: Selbst weniger versierte Experten hätten mit entsprechendem medizinischen und pharmazeutischem Hintergrund auf die Idee kommen können, Einnahmeprobleme mittels Retardformulierung zu lösen.
Dass es jedenfalls nicht naheliegender war, die Einnahmehäufigkeit durch eine einfache Erhöhung der Dosis zu verringern, legen die Richter anhand pharmakokinetischer Erfahrungen dar. Die Technik selbst sei dann kein Kunststück mehr gewesen: Denn dass sich Matrixsysteme auf der Grundlage von Geliermitteln wie Hydroxpropylmethylcellulosen für die Formulierung einer Vielzahl von Wirkstoffen eigneten, sei bekannt gewesen.
Im vergangenen Jahr lag der Generikaanteil bei den Retardtabletten nach Angaben von IMS Health bei 70 Prozent nach Packungen. Marktführer ist Teva mit seinen Vertriebslinien Ratiopharm und AbZ, die zusammen auf einen Anteil von einem Drittel kommen. Dahinter folgt immer noch das Original, das deutlich teurer als die Generika ist, aber weiter deutlich eingebüßt hat.