Wissenschaftlern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) ist es gelungen, Proteine zu entwickeln, die Medikamente direkt am Wirkort freisetzen. So könnten die Arzneistoffe dort wirken, ohne negative Effekte auf den restlichen Körper zu haben. Das ist aus der im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlichten Studie zu entnehmen. Die Ergebnisse könnte dazu beitragen, eine ziel- und gewebespezifische Arzneimittelfreisetzung zu ermöglichen.
Verschiedene nationale und internationale Forschergruppen sind auf der Suche nach weiteren Methoden, um Arzneimittel gezielt an ihrem Wirkort einzusetzen, denn so können bestimmte Nebenwirkungen vermieden oder minimiert werden. Bislang gelingt das nur bei lokal wirksamen Substanzen. Dagegen können sich systemisch wirksame Substanzen auf ihrem Weg zum „Problemort“ negativ auf gesunde Körperstrukturen auswirken. Beispielsweise können Schmerzmittel mit einer Säurestruktur wie Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen die Magenschleimhaut angreifen oder Antibiotika auch gute Darmbakterien abtöten.
Der Arbeitsgruppe des Lehrstuhls Biotechnik der FAU um Professor Dr. Yves Muller hat für dieses Problem einen neuen Lösungsweg entwickelt. Die Wissenschaftler wandelten in Zusammenarbeit mit weiteren Kollegen in der Computeranwendung und auch im Labormaßstab das humane Protein α1-Antichymotrypsin (α1AC) in spezielle „Shuttle-Proteine“ um, die Doxycyclin und Doxorubicin an sich binden können. Im Zielgewebe wird das gebundene Medikament wieder freigesetzt, indem das Protein durch eine Proteinase gespalten wird. α1AC wird in der Leber produziert und ist ein Akutphase-Protein, das während einer Inflammation induziert wird.
Durch den Einsatz der Proteinshuttles könnten Medikamente gezielt und in geringeren Dosen eingesetzt werden. Folglich werden der Organismus geschont und ein effizienterer Einsatz der Wirkstoffe ermöglicht. „Bis bestimmte Proteine aber als Shuttle Service medizinisch eingesetzt werden können, ist es noch ein langer und steiniger Weg“, ist sich Muller bewusst. Zunächst müsse die Bindeaffinität der Wirkstoffe an die Shuttleproteine weiter erhöht werden. „Der Schlüssel muss noch genauer in das Schlüsselloch passen.“
Das computergestützte Verfahren wurde experimentell mittels Röntgenkristallanalyse erfolgreich überprüft. Doch bis zu einer Anwendung am Menschen muss noch gezeigt werden, dass die Mechanismen tatsächlich auch im Körper funktionieren. Dazu sind klinische Studien nötig. Doch die Wissenschaftler sind optimistisch, dass die von ihnen vorgestellte Modellstudie das Potential für die Entwicklung von gerichteten Medikamentenshuttles besitzt.
Doch mit der Idee sind sie nicht alleine. Andere Forscher sehen Nanopartikel als Wirkstoff-Taxi der Zukunft. So haben Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena im vergangenen Jahr gezeigt, dass antibakterielle Substanzen wie Tobramycin mit Nano-Umhüllung besser an den Zielort gelangen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das umhüllte Antibiotikum einfacher als der reine Arzneistoff durch das schwammähnliche Netz der Schleimschicht gelangt und schließlich problemlos die Keime abtötet. Dazu verkapselten sie Wirkstoffe sie den Wirkstoff in ein Polyesterpolymer aus Milch- und Glycolsäure. Zusätzlich trugen sie eine Hülle aus Polyethylenglykol auf, das die Partikel dadurch für das Immunsystem fast unerkennbar machte.
Der 200 nm kleine Partikel war biokompatibel, biologisch abbaubar, nicht toxisch und somit ungefährlich für den Menschen. Der Grund für die bessere Wirksamkeit des Nanopartikels ist derzeit noch unbekannt. Die Forscher vermuten, dass entweder die viel effizientere Transportmethode deutlich mehr Wirkstoff zum Infektionsherd befördert. Denkbar sei auch, dass der Nanopartikel einen Abwehrmechanismus überwindet, den das Bakterium gegen das Antibiotikum entwickelt hat.
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