HIV-Prophylaxe

PrEP: Ratiopharm wird Preisbrecher

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Berlin -

Mit einem Blisterprojekt wollen der Kölner Apotheker Erik Tenberken und Hexal die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) erschwinglich machen. Das vor einigen Wochen gestartete Pilotprojekt hat nun den nächsten Stein ins Rollen gebracht: Ratiopharm gibt sein Produkt künftig zu einem Bruchteil des bisherigen Preises ab.

Statt 556,33 Euro kostet die 30er-Packung Emtricitabin/Tenofovir Ratiopharm ab Dezember nur noch 69,90 Euro. Eine Packung mit 90 Tabletten wird für 209,70 statt 1639,62 Euro Euro erhältlich sein. Offiziell ist die Preisänderung noch nicht, bei einer Pressekonferenz will der Konzern am Donnerstag über die Hintergründe informieren.

Die Konkurrenz hat der Konzern aus Ulm überrascht: „Wir können diese Entscheidung nicht nachvollziehen und sind neugierig auf die Begründung“, sagt eine Zentiva-Sprecherin. Bei der Sanofi-Tochter bleibt alles beim Alten: 473,73 Euro für 30 Tabletten, 1399,20 Euro für 90 Tabletten. Weitere Anbieter mit entsprechenden Generika sind Aristo, Betapharm, Aliud, Hormosan, Mylan und TAD.

Tenberken, Inhaber der auf HIV-Patienten spezialisierten Birken-Apotheke aus Köln, ist mit der neuesten Entwicklung zufrieden: „Auf diese Weise wird die PrEP von der Sonder- zur Regelversorgung“, sagt er. Gemeint ist, dass Patienten künftig die Tablette als Fertigarzneimittel erhalten und nicht mehr zwangsläufig den Umweg über die Verblisterung gehen müssen, der das Abweichen vom Listenpreis erst möglich gemacht hat.

Der Apotheker ist aber auch gespannt, wie beim Ratiopharm-Produkt die geforderte Qualität sichergestellt werden soll. Denn laut Zulassung dürfen nur eigens geschulte Ärzte die PrEP verordnen, in der Apotheke muss es eine 20- bis 30-minütige Beratung geben. Wenn Mediziner aber das Fertigarzneimittel verordnen, das auch zur Therapie einer HIV-Infektion zugelassen ist, muss zunächst die Indikationsstellung abgefragt werden. „Da sind noch einige Fragen offen.“

Tenberken und die rund 60 Apotheken, die an seinem Projekt teilnehmen, bieten das verblisterte Hexal-Produkt für 50,05 Euro pro Monatsration an. Inzwischen wurden bereits 1349 Rezepte eingelöst. Da die User die PrEP aus eigener Tasche bezahlen müssen und der Preisunterschied immer noch bei 20 Euro liegt, geht der Kölner Pharmazeut nicht davon aus, dass sein Konzept jetzt sofort tot ist.

Dazu kommt, dass das Projekt wissenschaftlich begleitet wird. Professor Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Institut für HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen, arbeitet für die Studie PRIDE eng mit dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusammen. Die Studie soll Daten und Fakten schaffen, die das Pilotprojekt von Tenberken untermauern sollen und den Weg zur Erstattungsfähigkeit ebnen. Streeck ist sich sicher: „Die Fakten sprechen für sich.“

Die große Frage dabei: Infizieren sich von nun an nachweislich weniger Menschen mit dem Virus? Diese Hoffnung verbinden Experten mit der 2016 in der EU zugelassenen PrEP. Gilead hatte für das Original Truvada in Deutschland zuerst die Zulassung für die PrEP erhalten. Die Fixkomination ist in der Dosierung 200/245 mg als Dauermedikation zugelassen – jedoch nicht für die anlassbezogene PrEP. Mit dem Auslaufen des Patents im Juli zogen die Generikahersteller nach.

In anderen Ländern wie Großbritannien wurde in dem Zusammenhang bereits ein Rückgang beobachtet. In Deutschland hingegen stagniert die Zahl der Neuinfektionen seit Jahren. Im Vorjahr steckten sich nach Berechnungen, die das RKI zum Welt-Aids-Tag veröffentlichte, 2500 Männer und 570 Frauen mit dem Immunschwäche-Virus an. Stark betroffen ist Berlin, wo Streeck nun auch viele PrEP-Verschreibungen zählt.

Zielgruppe der PrEP sind Menschen, die wegen häufig wechselnder Geschlechtspartner ein großes Risiko für eine Ansteckung mit HIV und somit ein besonders hohes Infektionsrisiko haben – nicht für Jedermann. Die Form der Anwendung ist recht neu, das Medikament an sich jedoch schon seit Jahren für die Therapie HIV-Infizierter zugelassen. Die Fixkombination soll die Virusvermehrung in den Zellen hemmen und bei regelmäßiger Einnahme einen hohen, wenn auch keinen 100-prozentigen Schutz vor HIV bieten.

User müssen einige Voraussetzungen erfüllen. Zum einen muss eine bestehende HIV-Infektion ausgeschlossen sein. So sollen Resistenzen verhindert werden, da nur Menschen behandelt werden, die das Virus nicht tragen. Alle drei Monate findet eine erneute Kontrolle statt. Klar ist auch: Die Tabletten schützen nicht vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen wie Syphilis. Darum ist die PrEP nur „in Kombination mit Safer-Sex-Praktiken“ zugelassen.

Was weiß Streeck dank Online-Fragebogen über die Nutzer? Bislang seien es eher Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen, die sich die PrEP leisteten, sagt der Studienleiter. Trotz des im Vergleich niedrigen Preises bleibt die PrEP ein Luxus, den sich nicht jeder leisten kann. Einige User geben an, die Tabletten zuvor aus dem Ausland bezogen zu haben. Befragte hätten oft angegeben, schon vorher keine Kondome benutzt und bereits andere sexuell übertragbare Erkrankungen gehabt zu haben, sagt Streeck. Als Grund für den Kondom-Verzicht würden Erektionsstörungen genannt, aber auch der Wunsch des Partners. Die Motive für das Interesse an der PrEP seien gemischt. „Viele wollen zusätzlichen Schutz“, sagt der Forscher. Spätestens in einem Jahr will er Bilanz ziehen.

Ein in Teilen anderes Bild zeichnet die Berliner Apothekerin Claudia Neuhaus. „Das sind sehr gewissenhafte Menschen“, sagt die Inhaberin der Witzleben-Apotheke über die PrEP-Nutzer. Sie gäben an, trotz der Medikamente Kondome zu benutzen. Gerade in Beziehungen, in denen ein Partner HIV-positiv sei, gehe es um zusätzliche Absicherung, falls zum Beispiel das Kondom reiße. Am Medikament verdienten Apotheken rund zehn Euro, sagt Neuhaus. Wegen der aufwendigen Beratung bleibe unter dem Strich nichts liegen. „Das ist Pionierarbeit. Wir möchten die Verbreitung von HIV minimieren.“

Die Zahlen müssten runter, gibt auch Tenberken als Ziel an – es gelte jetzt, die Versorgung mit der PrEP zu stabilisieren. Für das Pilotprojekt holte sich der Apotheker Hexal mit ins Boot, außerdem kam Tenberkens Blisterzentrum Kölsche Blister ins Spiel. Hexal hat für dieses Projekt eigens eine Dosenware zu 90 Tabletten auf den Markt gebracht, die dann in in Einheiten à 28 Tabletten verblistert wird. So kann der Apotheker seinen Rabatt weitergeben, er muss lediglich die Aufschläge nach Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) dazurechnen. Im Ergebnis kostet die PrEP dann 50,05 Euro – ein Zehntel des üblichen Abgabepreises.

Das RKI schreibt in einem aktuellen Bericht: „Es wird interessant sein zu verfolgen, wie viele Menschen von dieser neuen Möglichkeit Gebrauch machen werden und ob die Zahl der PrEP-Nutzer so groß wird, dass sich dies auf die HIV-Neuinfektionszahlen auswirkt.“

Ein Blick nach Frankreich legt nahe, dass es wohl auch in Deutschland noch mehr Bedarf gäbe: Dort beugen Streeck zufolge etwa 4500 Menschen mit der PrEP vor, allerdings könne sie dort auch von den Kassen übernommen werden. Für Deutschland schätzt Streeck 8000 Nutzer. Eine Übernahme der Kosten auch hier fordert die Deutsche Aids-Hilfe schon länger. Und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ) rechnete vor, dass die Prophylaxe günstiger sei als die langfristige Behandlung HIV-Infizierter. Es geht um tausende Fälle, die demnach in den nächsten Jahren vermeidbar wären.

Laut einer Studie von Erasmus MC Rotterdam in Zusammenarbeit mit der DAGNÄ und dem RKI könnte die PrEP – die Einführung im kommenden Jahr vorausgesetzt – bis 2030 etwa 9000 HIV-Neuinfektionen verhindern. Ein Grund mehr für Tenberken, für die Erstattung durch die Krankenkasse zu kämpfen.

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