Apotheke unter der Haut Dr. Kerstin Neumann, 22.02.2016 13:00 Uhr
Forscher der Universität Freiburg haben eine Möglichkeit gefunden, Medikamente direkt an ihren Wirkort zu bringen: Mittels eines Polyethylenglykol-Implantates sollen unterschiedlichste Wirkstoffe gespeichert und kontrolliert freigesetzt werden können. Vor allem für die Krebstherapie sollen die Membranspeicher gut geeignet sein.
Eine der schwierigsten technologischen Herausforderungen der Pharmazie ist es, Medikamente gezielt und lokal begrenzt an den Ort im Körper zu bringen, an dem sie benötigt werden. Eine systemische Verabreichung von Präparaten führt häufig zu Nebenwirkungen.
Mit Systemen wie Matrixpflastern wird versucht, zumindest einen Teil der unerwünschten Wirkungen zu umgehen und die Medikamente ohne Metabolisierung an ihren Wirkort zu bringen. Eine präzise Verabreichung von Medikamenten genau an den Ort des Krankheitsgeschehens ist aber bis heute nicht möglich.
Doktorand Christian Böhler und seinen Kollegen vom Institut für Mikrosystemtechnik an der Uni Freiburg ist es gelungen, durch eine Verbindung von organischen und anorganischen Stoffen einen Polymer zu entwickeln, das diese Probleme lösen soll. Das System wird mittels sogenannter Atomlagenabscheidung gewonnen: Dabei werden auf einen Kunststoff Gase aufgetragen, die in die Molekülstruktur des Kunststoffes eindringen und ihn von innen heraus festigen.
Als Grundstoff verwendeten die Forscher Polyethylenglykol (PEG), welches mit Zinkoxid reagiert. Das ursprünglich flüssige Material wird dabei fest, aber zu einer wasserlöslichen Membran. Dadurch ist das System biokompatibel und kann beispielsweise mit dem Blutstrom im Körper zu dem Ort gebracht werden, an dem der Wirkstoff freigesetzt werden soll. Auch das Implantieren der Membran unter die Haut sei möglich, so die Wissenschaftler.
Um eine genau dosierte Ausschüttung der Medikamente zu ermöglichen, wird allerdings noch ein zweites Polymer benötigt. Dafür verwendeten die Wissenschaftler das normalerweise vor allem in der Elektrotechnik verwendete Thiophen-Polymer PEDOT. Es wird als dünne Schicht auf die Oberfläche des PEG-Zinkoxyd-Hybrids aufgetragen und funktioniert wie ein Netz mit Löchern: Legt man eine positive Spannung an, öffnen sich diese Löcher und die gespeicherten Moleküle können den Träger verlassen. Bei einer negativen Spannung werden sie wieder geschlossen. So kann die Freisetzung aus dem Material präzise kontrolliert werden.
In der Vergangenheit hat es bereits ähnliche Speichermethoden gegeben, diese hatten allerdings deutliche Nachteile: Die Speicherfilme waren häufig zu groß, um eine klinische Anwendung in Betracht zu ziehen. Je nach Beschaffenheit des Polymerfilms war die Anwendung nur auf wenige Moleküle beschränkt, beispielsweise nur auf positiv oder negativ geladene Strukturen. PEG hingegen verhalte sich inert gegenüber den allermeisten Medikamenten, so die Forscher. Dadurch könnte es in deutlich größerem Umfang eingesetzt werden.
Der mehrschichtige PEG-Container kann sogar mehrere Medikamente gleichzeitig speichern. In den Film können mehrere Kammern integriert werden, die verschiedenen Wirkstoffe getrennt voneinander aufbewahren und bei Bedarf freisetzen. Für die Freisetzung selbst genügt das Anlegen einer Spannung von 0,5 Volt. Dies könnte über eine Mini-Batterie wie bei Herzschrittmachern gewährleistet werden: Über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren rechnen die Freiburger Forscher mit einer stabile Wirkstofffreisetzung – sofern eine so lange Behandlung erforderlich ist.
Besondere Bedeutung sehen die Forscher für die Krebstherapie: Das neu entwickelte System könnte beispielsweise unter die Haut in die direkte Umgebung eines soliden Tumors implantiert werden. So könnten die benötigten Chemotherapeutika lokal und mit deutlich weniger systemischen Nebenwirkungen freigesetzt werden.
Wirkstoffhaltige Implantate sind bislang vor allem als Kontrazeptiva bekannt: Sogenannte Verhütungsstäbchen mit Gestagenen werden dabei unter die Haut des Oberarmes gesetzt und geben kontinuierlich ihren Wirkstoff frei. Die Kunststoff-Präparate können bis zu drei Jahre lang vor Ort bleiben