Notfallkontrazeptiva

„Pille danach“ +31 Prozent Alexander Müller, 28.03.2015 08:00 Uhr

Berlin - 

Mit dem OTC-Switch der „Pille danach“ ging bei Kritikern die Befürchtung einher, es könne zu einem massiven Anstieg beim Gebrauch der Notfallkontrazeptiva kommen. Jetzt liegen die Abverkaufszahlen der ersten Woche nach der Freigabe vor: Demnach ist der Absatz um fast ein Drittel gestiegen. Wegen der erhöhten Aufmerksamkeit, Bevorratungen auch auf Kundenseite und der Unschärfe durch die Hochrechnung sind die Werte jedoch mit Vorsicht zu genießen.

Nach Zahlen des Marktforschungsunternehmens IMS Health wurden in der ersten OTC-Woche 13.500 Packungen der „Pille danach“ in den Apotheken abgegeben. Hochgerechnet auf den ganzen Monat entspricht das 54.000 Packungen. Verglichen mit 41.000 Packungen im März 2014 ergibt sich somit ein Anstieg von 31 Prozent.

Auffällig ist, dass die „Pille danach“ in 41 Prozent der Fälle auf Rezept abgegeben wurde. Dieser GKV-Anteil lag vor dem OTC-Switch in der Regel bei rund 30 Prozent. Aus den Zahlen geht allerdings nicht hervor, in wie vielen Fällen tatsächlich eine Erstattungsfähigkeit vorliegt. Man kann also aus den 41 Prozent nicht zwingend schließen, dass die Notfallkontrazeptiva verstärkt an Frauen unter 20 Jahren abgegeben wurden.

Der Anteil von EllaOne (Ulipristal) im Rx-Bereich lag mit 52 Prozent unter dem vorherigen Durchschnittswert von 60 Prozent. Ohne Rezept wurde dagegen ausschließlich EllaOne abgegeben. Die Apotheken waren wegen der unklaren Rechtslage zu den noch nicht umgestellten Packungen der „Pille danach“ mit Levonorgestrel offenbar vorsichtig. Zumindest laut der repräsentativen Strichprobe ging kein einziges LNG-Notfallkontrazeptivum ohne Verordnung über den HV-Tisch.

Trotz des markanten Anstiegs nach dem OTC-Switch erwartet der Hersteller HRA Pharma auf das Jahr gerechnet keine so krassen Zuwächse bei den Absatzzahlen. „Wir hatten in den vergangenen Jahren immer ein Wachstum von rund 7 Prozent, vielleicht werden es künftig 10 bis 15 Prozent sein“, so HRA-Deutschlandchef Klaus Czort. Im Startmonat März sei wegen der großen öffentlichen Aufmerksamkeit mehr zu erwarten, die Kurve werde aber abflachen.

Zwar waren vereinzelt Großhandelsniederlassungen kurzfristig leer gekauft, das lag aber eher an der Bevorratung der Apotheken. Zu Engpässen bei der Versorgung dürfte es HRA zufolge nicht gekommen sein. Immerhin hatte der Hersteller mehr als 100.000 Packungen ausgeliefert.

Wachstumspotential für die Zukunft sieht der Hersteller dennoch: In Deutschland gebe es einen Bedarf an Risikosituationen – dazu zählen alle Arten von Verhütungspannen sowie ungeschützter Verkehr – von 2,4 Millionen Packungen pro Jahr. Davon sei man mit zuletzt 400.000 Packungen im Jahr noch sehr weit entfernt, so Czort.

Anders sieht die Situation in Frankreich aus, wo die „Pille danach“ schon vor der Jahrtausendwende aus der Rezeptpflicht entlassen wurde. Im Nachbarland werden jährlich bereits 1,8 Millionen Packungen abgegeben, und das bei 65 Millionen Einwohnern. Weil die Regierung auf die Möglichkeit der Notfallkontrazeption hingewiesen habe, gebe es eine sehr hohe Marktausschöpfung.

Ein Anstieg beim Absatz war in allen Ländern zu beobachten, in denen die „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht entlassen wurde. Ganz so dramatisch, wie der Fernsehsender RTL die Situation in Norwegen beschrieben hat, war es dort allerdings nicht. In dem Bericht des Magazins „Extra“ war von einem Anstieg von 2000 auf 150.000 zwischen den Jahren 2000 und 2007 die Rede.

Allerdings wurde die LNG-basierte „Pille danach“ in Norwegen erst im 4. Quartal 2000 eingeführt, damals gleich rezeptfrei. Im Jahr 2001 wurden rund 62.000 Einheiten abgegeben. Bis heute hat sich die Nachfrage somit etwa verdoppelt, was sich laut HRA Pharma in vielen Ländern beobachten lässt. Dies habe meist mit einem verbesserten Wissenstand bezüglich Risikosituationen und Lösungen zu tun als mit unsachgemäßem Gebrauch, so der Hersteller.