Sprengstoffe

Explosives Apothekeninventar APOTHEKE ADHOC, 04.01.2016 10:30 Uhr

Berlin - 

Pikrinsäure ist der Trivialname für 2,4,6 - Trinitrophenol (TNP). Die Substanz wurde im 18. Jahrhundert entdeckt und anfänglich zur Gelbfärbung von Seide benutzt. Auch Backwaren und Bier wurden zeitweise mit Pikrinsäure gefärbt – mit unangenehmen Folgen für den Konsumenten. Aufgrund der Giftwirkung verschwand die Säure schnell wieder aus den Backstuben, nicht jedoch aus den Apotheken.

Die Substanz, die chemisch dem Trinitrotoluol (TNT) ähnelt, ist ebenso wie ihr „großer Bruder“ ein starker Sprengstoff. Im Ersten Weltkrieg wurde sie zur Herstellung von Handgranaten tonnenweise hergestellt. Ihre Sprengwirkung zeigte sich beispielsweise 1917 im kanadischen Halifax: In der Hafenstadt kollidierten zwei Frachtschiffe, von denen eines eine Ladung von rund 2300 Tonnen Pikrinsäure an Bord hatte. Außerdem transportierte eines der Schiffe, die „Mont Blanc“, noch 200 Tonnen TNT sowie Benzol und Schießbaumwolle. Durch die entstehende Explosion starben fast 2000 Menschen und die Stadt wurde regelrecht verwüstet.

Trotz aller Gefahren musste bis vor wenigen Jahren jede Apotheke Pikrinsäure in ihrem Reagenziensatz bereithalten. Als Chemikalie wird sie unter anderem zur Identitätsprüfung von Benzylpenicillin oder auch Chloroquin verwendet. Die starke Säure bildet mit vielen Stoffen Salze. Diese Pikrate sind meist stark gefärbt und können im Reagenzglas leicht erkannt werden. Durch die Änderung der Apothekenbetriebsordnung ist die Bevorratung mit der Substanz inzwischen nicht mehr vorgeschrieben. Die Apotheken können selbst entscheiden, ob sie ihren Vorrat behalten oder vernichten wollen.

Der Chemikaliengroßhandel liefert die Säure nicht in fester Form, sondern in Wasser gelöst. Mindestens ein Drittel Wasser sollte im Gefäß enthalten sein. Auf diese Weise ist der Umgang mit dem Sprengstoff sicher, doch viele Apotheken vergessen die Substanz im Schrank und mit der Zeit trocknet diese ein. Damit das nicht passiert, empfehlen die Apothekerkammern das gesamte Gefäß zwei Mal jährlich zu wiegen und entwichenes Wasser zu ersetzen. Denn kristallisiert die Säure aus, beispielsweise im Deckelrand, droht Gefahr. Die Reibung beim Öffnen kann dann ausreichen, um eine Detonation auszulösen. Wird feste Pikrinsäure im Labor entdeckt, sollte diese von Experten vernichtet werden. Immer wieder kommt es bei der Entsorgung der Chemikalie zu Einsätzen von Feuerwehr oder Landeskriminalamt.

Gefäße, die kristalline Pikrinsäure enthalten, werden in der Regel unter Wasser geöffnet. Ist nur ein wenig Wasser entwichen, kann der Deckelrand vorsichtig mit Wasser aus einer Spritzflasche angefeuchtet und der Substanz frisches Wasser hinzugefügt werden.

Die Behörden warnen zudem vor der Aufbewahrung der Substanz in Gefäßen aus Metall oder mit Metallverschluss, da sich darin hochexplosive Metallpikrate bilden könnten. Die Überwachungsbehörden müssen derartige Gefäße abholen und entsorgen, da die Metallverbindungen sogar noch explosiver sind als die Substanz in Reinform.

Außer in Apotheken gehört die Pikrinsäure auch in einigen Schulen zum Inventar. Sie wird dort zum Anfärben von Präparaten in der Mikroskopie eingesetzt oder um Zucker im Blut nachzuweisen. Der Einsatz der gefährlichen Substanz ist in den meisten Fällen jedoch obsolet, da inzwischen Reagenzien mit weniger Gefahrenpotential existieren. Schülern ist der Umgang mit der Chemikalie jedoch aus Sicherheitsgründen verboten.