Pharmaziestudium: Abkürzung zum Staatsexamen Deniz Cicek-Görkem und Tobias Lau, 13.08.2018 10:22 Uhr
Um Pharmazie zu studieren, brauchen Interessierte nicht nur eine große Portion Spaß an Chemie, sondern auch einen guten Abiturdurchschnitt. Dann warten zahlreiche Praktika und Prüfungen, die einen den Studienplatz kosten können. Zumindest das nervenaufreibende erste Staatsexamen können sich Studenten ersparen – wenn sie Quereinsteiger sind. Lässt sich so auch der NC umgehen? So einfach ist es auch nicht.
Nach wie vor sind Staatsexamen und Approbation Voraussetzung, um Apotheker zu werden. Der Bologna-Prozess hat um Fächer wie Pharmazie, Medizin und Jura einen Bogen gemacht. Der „Vollapotheker“ gehört zu den berufspolitischen Grundfesten. Außer in Schweden und Finnland dürfen nirgendwo in Europa Arzneimittel durch einen Pharmazie-Bachelor abgegeben werden.
In den letzten Jahren steigt jedoch die Zahl der fachverwandten Alternativen zum klassischen Pharmaziestudium. So gibt es beispielsweise an der Universität Freiburg seit dem Wintersemester 2009/10 den Studiengang „Pharmazeutische Wissenschaften”, bei dem Studenten nach sechs Semestern einen Bachelor-Abschluss erhalten und im Anschluss den dazugehörigen Master-Studiengang belegen können. An der LMU München kann nach dem gleichen Modell „Pharmaceutical Sciences“ studiert werden, in Kaiserslautern „Angewandte Pharmazie“. Außerdem gibt es als Aufbaustudium zahlreiche Masterstudiengänge, bei denen es sich um Arzneimittel und Apotheke dreht.
Die Bachelor/Master-Studiengänge orientieren sich jedoch – wie die Namen schon sagen – eher an Studenten, die nach dem Abschluss in Wissenschaft oder Industrie arbeiten wollen. Will man in die Offizin, schreibt man sich nach dem Abitur für das klassische Pharmaziestudium ein. Das strikte NC-Verfahren, bei dem allein die Abiturnote entscheidet, wurde in den vergangenen Jahren abgelöst. In Berlin etwa werden nur noch 20 Prozent der Studienplätze an die Jahrgangsbesten vergeben, weitere 20 Prozent sind für Bewerber mit Wartesemestern reserviert. Die restlichen 60 Prozent werden nach einem Auswahlverfahren der Uni verteilt.
Was bislang kaum bekannt ist: Zwischen beiden Systemen wird häufiger gewechselt, als auf den ersten Blick zu vermuten wäre. Laut Professor Dr. Andreas Bechthold vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften in Freiburg schreibt sich etwa jeder zweite Bachelor-Student irgendwann für das klassische Pharmaziestudium ein. Ein Problem hat er damit nicht. „Ich finde beide Wege richtig“, sagt er. Bechthold unterrichtet in beiden Studiengängen.
Der Clou: Wer den Bachelor bereits in der Tasche hat, kann sich nicht nur einzelne Scheine anerkennen lassen, sondern gleich das gesamte Grundstudium. Er kann direkt im 5. Semester einsteigen, ohne vorher zum 1. Staatsexamen antreten zu müssen. Die Landesprüfungsämter erkennen die zahlreichen kleinen Prüfungen, die während des Bachelorstudiums abgelegt wurden, als gleichwertig an. Neunmal wurde dieses Anerkennungsverfahren 2017 allein Freiburg durchgeführt, vier Fälle sind es in diesem Jahr bisher. Auch an der LMU München ist die Anerkennung gängiges Prozedere. Dort wird wird sogar der Master zum Teil anerkannt: Der Student wird dann im zweiten Staatsexamen nur noch in drei statt fünf Fächern geprüft. Mit einem Bachelor von der TH Köln wiederum klappt das nicht: Den Abschluss in Pharmazeutische Chemie kann man sich zwar teilweise anrechnen lassen, die Prüfung für das erste Staatsexamen kann man damit aber nicht ersetzen.
Lassen sich mit dem Bachelorstudiengang also die strengen Zugangsvoraussetzungen umgehen? In Freiburg weist man diese Idee entschieden zurück. „Das ist absolut keine Hintertür“, sagt Dr. Mira Kuisle, Studiengangskoordinatorin am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften. „Die NC-Werte für die Studiengänge Bachelor und Staatsexamen unterschieden sich nicht.“ Ein Blick in die Studiengangsliste zeigt, dass die Zugangsvoraussetzungen für den Bachelor im vergangenen Jahr sogar etwas höher waren als die für das Staatsexamensstudium.
Es sei auch nicht so, dass sich die Studenten einen schlanken Fuß machen können: Einen qualitativen Unterschied zwischen beiden Studiengängen gebe es nicht, versichert Kuisle. „Die Inhalte des Grundstudiums sind im Bachelorstudium voll abgedeckt, es müssen dieselben Leistungen erbracht werden.“
Sie sieht nicht, dass das Studium aufgeweicht wird, sondern ausschließlich die positiven Aspekte: „Manche Studenten entscheiden sich nach dem Abitur, dass sie in der pharmazeutischen Industrie oder Wissenschaft arbeiten wollen, und belegen deshalb den Bachelorstudiengang“, erzählt die Pharmazeutin. „Im Studium wird ihnen dann, beispielsweise während eines Praktikums, klar, dass sie doch in der Apotheke arbeiten wollen. Solchen Studenten soll durch die Anerkennung der Weg offen gehalten werden.“
Zwei Nachteile müssen solche Quereinsteiger dann aber doch in Kauf nehmen. Sie brauchen drei Jahre, bis sie ihren Bachelor haben, also ein Jahr länger als ihre Kommilitonen, die sich durch Grundstudium und erstes Staatsexamen quälen. Und sie müssen für das Hauptstudium zahlen. Anders als einen Masterstudiengang erkennen die Universitäten den Wechsel in der Regel nicht als weiterführenden Studiengang an. Für ein Zweitstudium fallen etwa in Freiburg Gebühren in Höhe von 650 Euro pro Semester an – selbst wenn der Student am selben Standort bleibt.
Das Verwaltungsgericht Freiburg (VG) stellte zuletzt noch einmal klar, dass das Staatsexamen keinem konsekutiven Masterstudiengang gleichzustellen ist, und wies die Klage eines Studenten gegen die Uni ab. Mit dem Bachelor habe der Student nämlich bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss erlangt. „Er hatte mit seinem Erststudium bereits Anteil an den nur begrenzt vorhandenen Ausbildungsressourcen und an der Verteilung der Berufschancen“, so das Gericht. Die Aufgabe, „auf bestimmte berufliche Tätigkeiten vorzubereiten“, habe die Hochschule durch das kostenfreie Erststudium bereits erfüllt.
Zwar beanspruche der Student die Ressourcen der Hochschule durch seinen Wechsel nicht in größerem Umfang als bei Aufnahme eines Masterstudiengangs. Aber zwischen den beiden Studiengängen bestehe kein Zusammenhang: Ein konsekutiver Master sei ohne Bachelor nicht möglich, ein Staatsexamensstudium schon. Während für Bachelor und Master unterschiedliche Studienordnungen gelten, seien Grund- und Hauptstudium für das Staatsexamen in Pharmazie nicht voneinander zu trennen.
Hauptstudium und Masterstudiengang seien sich zwar ähnlich, aufgrund ihrer Funktion aber unterschiedlich ausgestaltet: Während das Hauptstudium primär auf das zweite Staatsexamen vorbereite, biete der Masterstudiengang Freiräume zu individueller Schwerpunktsetzung. Für die Einstufung als konsekutiver Studiengänge komme es auf deren „objektive Konzeption, nicht auf die subjektive Studiengestaltung“ an, so das Gericht.