Krebs, Multiple Sklerose, Alzheimer – in den Pipelines der Pharmakonzerne stehen Mittel gegen die bedrohlichen Krankheiten unserer Zeit im Vordergrund. Einige davon haben aus Expertensicht Blockbusterpotenzial.
Millionen Patienten hoffen, dass Pharmakonzerne Mittel gegen Krebs, Alzheimer oder andere Krankheiten entwickeln. Der Markt mit Arzneimitteln wächst – denn Menschen in Schwellenländern bekommen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung und in Industriestaaten gelangen neue hochpreisige Arzneien auf den Markt. Weil die Forschung Krankheiten immer tiefer ergründet und in immer kleinere Gruppen unterteilt, wird es für Pharmafirmen aber schwieriger, Blockbuster – also Medikamente mit Milliardenumsätzen – auf den Markt zu bringen. Vor allem bei Krebs und Alzheimer sehen Experten aber riesiges Potenzial – für die Unternehmen an Umsätzen. Und für die Patienten als Therapie-Hoffnung.
Im vergangenen Jahr gab es Erhebungen der Branche (Verband Forschender Arzneimittelhersteller, vfa) zufolge mehr als 300 Medikamentenentwicklungen, bei denen eine Zulassung bis 2019 möglich erschien. Mehr als ein Drittel davon sind Therapien gegen Krebs. Das liegt einerseits an der Häufigkeit und Bedrohlichkeit der Krankheit – laut Robert-Koch-Institut gibt es in Deutschland jährlich 500.000 Neuerkrankungen und Statistiken zufolge 230.000 Todesfälle.
Andererseits profitiert die Industrie heute von der Grundlagenforschung seit Ende der 80er Jahre. Es gibt heute schon viele Medikamente, die Überlebensraten sind stark gestiegen. Der aktuelle Hoffnungsträger ist die sogenannte Immunonkologie, bei der die körpereigene Immunabwehr zum Kampf gegen Krebs mobilisiert wird.
Viel wird auch gegen Entzündungs- oder Autoimmunkrankheiten entwickelt. Dazu gehören neben der Multiplen Sklerose (MS) auch Gelenkrheuma, Asthma und entzündliche Darmerkrankungen. Außerdem wird an neuen Antibiotika gearbeitet, um Bakterien trotz zunehmender Resistenzen bekämpfen zu können. Dazu kommen Impfstoffe: 72 neue Impfungen werden laut vfa derzeit gegen 26 Krankheiten in Studien erprobt. „Zum einen gewinnen früher wenig beachtete Krankheiten wie Ebola, Zika oder Dengue-Fieber an Bedeutung. Zum anderen lassen sich heute durch technologische Fortschritte früher unvorstellbare Impfstoffe entwickeln“, sagt Siegfried Throm, Geschäftsführer Entwicklung beim vfa.
Das größte Umsatzpotenzial haben laut Siegfried Bialojan, Pharmaexperte von der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY), die immunonkologischen Präparate. „Sie könnten in die Nähe von Blockbustern kommen“, sagte er. Durch die zunehmende Kategorisierung der Krebserkrankungen würden zwar die einzelnen Patientengruppen kleiner, insgesamt blieben sie aber angesichts der hohen Gesamtzahl der Erkrankten groß. So will das Darmstädter Unternehmen Merck noch in diesem Jahr mit dem US-Konzern Pfizer für den Produktkandidaten Avelumab einen ersten Zulassungsantrag stellen. „Merck könnte mit Avelumab einen Blockbuster haben“, schätzt Bialojan, „für die beiden Unternehmen wäre es ein wahnsinniger Schritt voran“.
Dringend suchen Forscher nach einem Mittel, um Alzheimer in den Griff zu bekommen, vor allem mit Blick auf die älter werdende Gesellschaft und die dadurch steigenden Patientenzahlen. Viele Pharmafirmen haben sich an dieser Demenz-Krankheit in den vergangenen Jahren die Zähne ausgebissen, jetzt gibt es wieder eine ganze Reihe neuer Ansätze. „Alzheimer ist das nächste große Thema in der Pharmaforschung“, sagt Bialojan. Im Vergleich zur Onkologie ist die Grundlagenforschung hier aber komplexer, das Gehirn des Menschen ist schwieriger zu erforschen. Bisher geht es um Mittel, die die Krankheit verlangsamen. Etwas, das sie komplett aufhält, hat noch niemand entdeckt.
Auf dem Vormarsch sind biotechnologisch hergestellte, also nicht chemisch sondern in einer lebenden Zelle hergestellte Arzneimittel. Ihr Anteil am weltweiten Pharmamarkt lag nach Berechnungen des Beratungsunternehmens IMS Health im vergangenen Jahr bei 21 Prozent, bis zum Jahr 2020 könnte er dessen Einschätzung zufolge auf 28 Prozent steigen. Stefan Rinn, Geschäftsführer bei Boehringer Ingelheim, geht davon aus, dass der Umsatzanteil mittelfristig in Richtung 50 Prozent geht. Das Pharmaunternehmen weitet seine Biotech-Produktion aus. So investierte es zuletzt 500 Millionen Euro am Standort in Wien, auch in Shanghai wird gebaut. Von Boehringer kommt zum Beispiel das biotechnologisch hergestellte Mittel Praxbind, ein Gegenmittel zum Gerinnungshemmer Pradaxa.
Bei den vfa-Mitgliedsunternehmen werden mittlerweile 40 Prozent der neuen Wirkstoffe in den Pipelines biotechnologisch hergestellt. „Das ist vor allem einem sehr vielseitigen Wirkstoff-Typ zu verdanken: den monoklonalen Antikörpern“, sagt vfa-Geschäftsführer Throm. Diese Antikörper sind menschlichen Abwehrmolekülen nachempfunden. Sie könnten von Forschern genetisch für eine bestimmte Aufgabe „designt“ werden. Zum Beispiel so, dass sie Entzündungshormone im Körper abfangen oder Giftstoffe gezielt zu Krebszellen tragen, erklärt er.
Einen weiteren Schub bei biopharmazeutischen Therapien erwartet der Pharmazeut durch das neue Crispr-Cas-System. Das Verfahren wurde kürzlich entdeckt und gilt als Revolution in der Gentechnik. Mit der Technologie können Teile der DNA schnell und präzise ausgeschnitten und verändert werden. Forscher erhoffen sich Lösungen im Kampf gegen Erbkrankheiten. Kritiker befürchten dagegen ethisch fragwürdige Eingriffe in die menschliche DNA. Experten gehen davon aus, dass es noch Jahre dauern wird, bis darauf basierende Therapien zugelassen werden.
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