Pharmafirma melkt Kaninchen Yvette Meißner, 06.07.2010 08:48 Uhr
Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat in der vergangenen Woche eine Zulassungsempfehlung für das Arzneimittel Ruconest zur Behandlung des hereditären Angioödems ausgesprochen. Um das Medikament auf den Markt zu bringen, muss die niederländische Firma Pharming in Zukunft Kaninchen melken. Denn der Wirkstoff Conestat alfa wird aus der Milch von Nagern gewonnen, die zuvor genetisch verändert worden sind.
Conestat alfa ist eine rekombinante Version des endogenen C1-Esterase-Hemmers (C1-INH). Beim hereditären Angioödem kommt es durch einen genetischen Defekt zu einem Mangel an dem Inhibitor. Fehlt dem Körper C1-INH, schwellen Haut, Schleimhäute oder innere Organe immer wieder an. Treten die Ödeme an den Atemwegen auf, kann es für die Betroffenen lebensgefährlich werden.
Im Prinzip kann C1-INH aus Blutplasma gewonnen werden. Durch die von Pharming etablierte Methode stehe der Wirkstoff aber in unbegrenzter Menge zur Verfügung, so eine Unternehmenssprecherin gegenüber APOTHEKE ADHOC. Ruconest sei das erste Arzneimittel, bei dem ein Wirkstoff aus Kaninchenmilch extrahiert wird.
Ein weiterer, bereits 2008 zugelassener Wirkstoff ist der Hemmer des Blutgerinnungsfaktors Antithrombin III. Er stammt aus der Milch von transgenen Ziegen und ist als ATryn im Handel.
Damit die Kaninchen das humane Protein produzieren können, wird in deren Genom ein entsprechendes Gen eingeschleust. Rund 1000 Tiere zählen zu der Herde, die regelmäßig gemolken wird. Die Kaninchen selbst werden durch Pharming betreut. Die Milch wird nach dem Melken aber an den US-Konzern MSD geliefert, wo der Wirkstoff extrahiert und gereinigt wird. „Wir haben nicht die Kapazitäten, um das Produkt aufzuarbeiten“, so die Sprecherin.
Pharming steht bereits in den Startlöchern für die Vermarktung: „Wir haben schon jetzt ausreichend Wirkstoff, um das Arzneimittel in den Handel zu bringen“, so die Sprecherin. Abzuwarten ist allerdings noch die Entscheidung der EU-Kommission, die spätestens im September über die Zulassung beraten wird.
Zuerst soll das Medikament, das den Orphan Drug-Status haben wird, in Deutschland und Großritannien auf den Markt kommen. Den europaweiten Vertrieb wird das Pharmaunternehmen Swedish Orphan Biovitrum International (SOBI) übernehmen. Ausgenommen davon sind die Länder Andorra, Griechenland, Portugal und Spanien, für die eine Vereinbarung mit der spanischen Firma Laboratorios del Dr. Esteve getroffen worden ist.
Zu den bisherigen Therapien des hereditären Angioödems zählt ein aus Blutplasma gewonnenes C1-INH, das unter dem Namen Berinert P von CSL Behring vermarktet wird. Eine weitere Möglichkeit, die plötzlichen Schwellungen zu kontrollieren, ist das Präparat Firazyr (Icatibant) des Biotechnologie-Unternehmens Jerini, das vor zwei Jahren als Orphan Drug zugelassen worden ist.