Gleiche Indikation statt gleicher Wirkstoff APOTHEKE ADHOC, 20.02.2014 10:51 Uhr
Dachmarken für OTC-Produkte sind nicht nur ein Thema in den Apotheken. Seit Jahren streiten die Hersteller mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über die Frage, ob unterschiedliche Medikamente unter demselben Namen vermarktet werden dürfen. Irreführung, findet die Behörde. Zulässiges Marketinginstrument, argumentieren die Hersteller. Bislang teilten die Gerichte die Bedenken, doch jetzt gibt das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) erstmals grünes Licht: Nicht auf den Wirkstoff, sondern auf die Indikation und die Risiken kommt es an. Und ein bisschen auf den Marktanteil.
Im konkreten Fall ging es um Aleve (Naproxen). Bayer hatte im Juni 2010 beim BfArM die Umbenennung in Aktren Naproxen beantragt, doch eine Abfuhr kassiert. Unter der Dachmarke werden bereits verschiedene Präparate geführt, die jedoch alle den Wirkstoff Ibuprofen enthalten. Zu groß sei daher die Verwechslungsgefahr; der geplante Zusatz habe keinen prägenden Gehalt.
Das Verwaltungsgericht Köln teilte diese Einschätzung und wies vor einem Jahr die Klage von Bayer gegen den Ablehnungsbescheid ab. Doch das Urteil wurde jetzt überraschend vom OVG kassiert. Zwar dürften Arzneimittel mit unterschiedlichen Wirkstoffen im Grundsatz nicht unter demselben Namen vertrieben werden. Betrachtet werden müsse dabei jedoch immer die gesamte Bezeichnung, also Dachmarke plus Zusatz. Ob dann noch Risiken bestünden, sei im konkreten Einzelfall zu prüfen.
Entscheidend sind laut OVG dabei die Unterschiede der betroffenen Arzneimittel und die Gefahren, die von einer Verwechslung ausgehen könnten. Anders als im Fenistil-Fall stimmten bei Ibuprofen und Naproxen die Anwendungsgebiete überein; beide Wirkstoffe seien derselben Gruppe zuzuordnen und hätten einen identischen Wirkmechanismus.
Auch beim Nebenwirkungsprofil gebe es keine gravierenden Unterschiede, was sich schon aus den Hinweisen in den Gebrauchsinformationen ableiten lasse, so das OVG. Unterschiede bei der gastrointestinalen Toxizität seien nicht signifikant. Da Naproxen – bei höherer Dosierung und längerer Anwendung – geringere kardiovaskuläre Risiken berge, könne eine Verwechslung kaum schädlich, sondern eher vorteilhaft sein.
Dass sich die Altersgrenzen unterscheiden, ist laut Gericht auch kein Argument: Denn die verschiedenen Aktren-Präparate seien wegen ihres unterschiedlichen Gehalts an Ibuprofen schon heute für unterschiedliche Altersgruppen zugelassen. Schon alleine wegen des Einsatzes bei akuten Beschwerden werde sich der durchschnittliche Verbraucher vor der Anwendung über die Dosierung informieren.
Der durchschnittliche Verbraucher wird aus Sicht des OVG die Marke auch nicht mit einem bestimmten Wirkstoff verbinden – sondern allenfalls mit dem Anwendungsgebiet oder gegebenenfalls einem bestimmten Wirkmechanismus. Dafür spricht den Richtern zufolge andersherum auch der Umstand, dass es zahlreiche Ibuprofen-Präparate unter unterschiedlichen Bezeichnungen gibt.
Ohnehin sei nicht davon auszugehen, dass Aktren eine allzu bekannte Marke sei: Mit knapp 430.000 verkauften Packungen kommen die Produkte laut OVG auf einen Marktanteil von 0,9 Prozent im Ibuprofen-Markt und 0,3 Prozent im gesamten Analgetika-Markt.
Stattdessen gebe es deutlich bekanntere Dachmarken wie Dolormin (Ibuprofen, Ketoprofen, Naproxen) sowie Neuralgin, Togal und Thomapyrin. Zwar habe kein Hersteller einen Anspruch auf Gleichbehandlung, doch die Vorstellungen des Verbrauchers würden eben auch durch die tatsächlichen Marktverhältnisse geprägt.
Da es vom BfArM zugelassene Dachmarken-Produkte mit unterschiedlichen Wirkstoffen gebe, erwarte der Verbraucher unter demselben Namen „nicht stets Arzneimittel mit identischer Zusammensetzung“. Vielmehr werde er „besondere Sorgfalt an den Tag legen, sollte es ihm auf 'Aktren' mit einem bestimmten Wirkstoff ankommen.
Dazu kommt, dass Bayer in der Verhandlung zugesichert hat, die bisherigen Aktren-Präparate um den Zusatz „Ibuprofen“ zu ergänzen. „Enthalten aber alle Produkte der Dachmarke 'Aktren' den enstprechenden Wirkstoffzusatz in der Bezeichnung, wird – den hier allein bestehenden – Irreführungs- und Verwechslungsgefahren in Bezug auf den Wirkstoff hinreichend vorgebeugt.“
Das BfArM hatte bereits angedeutet, auch andere, bereits zugelassene Dachmarken überprüfen zu wollen. Allerdings hatte die Behörde mit Blick auf das Angebot von Bayer eingeräumt, dass sie nicht ermächtigt sei, Auflagen zur Umbenennung anderer Arzneimittel ohne vorherige Änderungsanzeige durch den Hersteller zu erteilen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Berufung wurde nicht zugelassen.