Ocrevus: Kürzere Infusionsdauer Alexandra Negt, 30.05.2020 09:12 Uhr
Der Pharmakonzern Roche hat von der Europäischen Arzneimittelkomission (EMA) für das Medikament Ocrevus eine erweiterte Zulassung erhalten. Multiple-Sklerose-Patienten profitieren künftig bei der halbjährlich erfolgenden Verabreichung von einer verkürzten Infusionsdauer.
Gegen eine bestimmte Form von multipler Sklerose darf das Medikament nun in einer verkürzten Infusionszeit von zwei Stunden verabreicht werden, wie Roche am Donnerstag mitteilte. Die bereits zugelassene Infusionszeit betrug 3,5 Stunden. Die Dosierung bleibt gleich hoch und wird zweimal jährlich verabreicht. Die Zulassung für die verkürzte Infusionszeit von zwei Stunden basiert auf den Daten der „Ensemble Plus“-Studie. Zuvor erfolgten bereits positive Empfehlungen der EMA. Global werden derzeit rund 160.000 MS-Patienten mit Ocrevus behandelt.
„Die Genehmigung einer kürzeren Infusionszeit von zwei Stunden für Ocrevus in Europa […] wird das Behandlungserlebnis für Patienten weiter verbessern und gleichzeitig die Kapazität in den Gesundheitssystemen erhöhen", sagte Dr. Levi Garraway, Chief Medical Officer und Leiter der globalen Produktentwicklung bei Roche. „Mit mehr als 160.000 Menschen, die weltweit mit Ocrevus behandelt werden, kann eine kürzere Infusion sowohl Patienten als auch Gesundheitsdienstleistern helfen, das endgültige Ziel zu erreichen, das Fortschreiten der Krankheit bei MS zu verlangsamen.“
Innerhalb der randomisierten, doppelblinden „Ensemble-Plus“ -Studie wurde eine vergleichbare Häufigkeit und Schwere infusionsbedingter Reaktionen (IRRs) für eine zweistündige Infusionszeit im Vergleich zur herkömmlichen 3,5-stündigen Zeit festgestellt. In die Studie wurden 580 Patienten mit rezidivierend-remittierender MS eingeschlossen. 289 Patienten erhielten die kürzere Infusion, 291 die konventionelle Infusion.
Der primäre Endpunkt dieser Studie war der Anteil der Patienten mit infusionsbedingten Reaktionen (IRR) nach der ersten randomisierten 600-mg-Infusion. Betrachtet wurden die ersten 24 Stunden nach der Infusion. Die Häufigkeit von IRR war vergleichbar zwischen denen, die die zweistündige Infusion erhielten (24,6 Prozent) und denen, die die 3,5-stündige Infusion erhielten (23,1 Prozent). Die Mehrheit der IRR war leicht oder mäßig und mehr als 98 Prozent lösten sich in beiden Gruppen ohne Komplikationen auf. Keine IRR waren lebensbedrohlich, schwerwiegend oder tödlich. Kein Patient hat die Studie aufgrund einer IRR abgebrochen und es wurden keine neuen Sicherheitssignale festgestellt.
Bis Februar 2018 stand in der EU kein Arzneimittel zur Behandlung der primär progredienten Multiplen Sklerose (PPMS) zu Verfügung. Ocrevus (Ocrelizumab, Roche) konnte vorerst nur im Compassionate Use-Programm angewendet werden. Ocrelizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der sich von dem bekannten Krebs- und Rheumamittel Rituximab ableitet. Der Wirkstoff richtet sich selektiv gegen CD20-positive B-Lymphozyten. Diese speziellen Immunzellen sind vermutlich für die Schädigung der die Nervenfasern schützenden Myelinscheiden und der Axone verantwortlich. In der Folge können Behinderungen entstehen.
Das Arzneimittel vermag diese Neurodegenerationen auszubremsen. Ocrelizumab bindet spezifisch an CD20-positive B-Zellen und interagiert nicht mit Zellen des Immunsystems. Neue B-Zellen werden weiterhin gebildet, das Gedächtnis des Immunsystems wird nicht beeinträchtigt. Entzündungen werden dagegen unterdrückt, Schübe vermindert und die fortschreitende Behinderung verlangsamt.
Bedeutung der Infusionsdauer
Unter einer Infusion versteht man die kontrollierte Verabreichung größerer Flüssigkeitsmengen in bestimmte Körperkompartimente. Dabei kann eine Infusion intravenös, intraarteriell, intramuskulär, rektal oder subcutan erfolgen. Bei der Dauer unterteilt man in Kurz- und Dauerinfusion. Bei der Kurzinfusion beträgt die Dauer zwischen 10 und 60 Minuten. Alle darüber hinaus gehenden Infusionszeiträume werden als Dauerinfusion definiert. Die Dauerinfusion wird meist mit festgelegter Geschwindigkeit verabreicht. Neben der zu verabreichenden Lösung wird ein Infusionsbesteck benötigt. Dies besteht aus unterschiedlichen Schlauchsystemen mit Tropfkammer. Je nachdem welches Anschlussset der Arzt wünscht, sind zusätzlich Filter enthalten, die mögliche Partikel bis zu einer definierten Größe herausfiltern. Die vorgegebene Infusionszeit sollte zur Vermeidung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen eingehalten werden.
Gefahr: Paravasat
In der Medizin bedeutet Paravasation zunächst einmal, dass eine körperliche Flüssigkeit aus dem für diese Flüssigkeit vorhergesehenen körperlichen Gefäß in das umgebende Gewebe ausgetreten ist. Bezogen auf eine Infusion spricht man beim Auslaufen der Lösung von einem Paravasat. Dieses Ereignis ist, je nach Wirkstoff, von Ärzten und Pflegern gefürchtet, denn zum einen besteht die Gefahr der Kontamination, zum anderen birgt die ausgetretene Lösung Gefahren für den Patienten. Ein Paravasat entsteht, wenn die Injektions- oder Infusionsflüssigkeit in das Gewebe neben dem punktierten Gefäß gelangt – der eigentliche Zielort, das Gefäß selbst, bleibt unberührt. Das Gewebe kann mitunter nicht alle Mengen Inufsion aufnehmen und es kommt zum Wirkstoffaustritt aus der Haut.
Laufen isotonische Infusionslösungen paravasat, so entstehen zwar Schwellungen, es besteht aber kein Risiko für den Patienten. Anders ist dies bei bestimmten Zytostatika. Vorallem die Wirkstoffgruppe der Anthrazykline wirkt gewebsschädigend. Zu den Zytostatika, die bei Paravasaten zu Gewebsschäden führen können, gehören: Amsacrin, Carboplatin, Carmustin, Cisplatin, Dacarbazin, Daunorubicin, Doxorubicin, Epirubicin, Etoposid, Idarubicin, Melphalan, Mitomycin C, Vincristin und Vinblastin.