Ocrelizumab: Hirninfektion statt Hoffnungsträger? Nadine Tröbitscher, 30.05.2017 11:22 Uhr
Der humanisierte monoklonale Antikörper Ocrelizumab hat im März die US-Zulassung erhalten und kann in Deutschland im Rahmen des Härtefallprogramms gegen Multiple Sklerose (MS) eingesetzt werden. Nun steht Ocrevus erneut auf dem Prüfstand. Hersteller Roche untersucht einen möglichen Zusammenhang zwischen Ocrelizumab und dem Auftreten einer Hirnerkrankung.
„Wir untersuchen derzeit einen Fall von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) bei einem MS-Patienten“, meldet Roche. Der Patient wurde zuvor für drei Jahre mit Tysabri (Natalizumab, Biogen) behandelt. Die letzte Dosis erhielt der Betroffene im Februar diesen Jahres.
„Der Patient hat danach über unser Arzneimittel-Härtefallprogramm (Compassionate Use Program, CUP) in Deutschland im April 2017 die Initialdosis Ocrelizumab erhalten. Der PML-Fall wurde als 'Carry over' von Natalizumab von dem behandelnden Arzt bestätigt“, heißt es weiter. Für das Pharmaunternehmen habe die Sicherheit der Patienten oberste Priorität. Man werde alle Einzelheiten zum PML-Fall und der Vorgeschichte zusammentragen und die Ergebnisse nach Abschluss der Ermittlungen weitergeben.
Der an PML erkrankte Patient sei zudem JCV-positiv. MS-Patienten mit positivem humanen Polyomavirus-2-Marker haben zudem ein erhöhtes Risiko, an der gefährlichen Gehirninfektion zu erkranken, wenn sie mit Tysabri behandelt werden. Patienten, die länger als zwei Jahre mit Natalizumab therapiert wurden, sind besonders gefährdet.
Ocrelizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der sich von dem bekannten Krebs- und Rheumamittel Rituximab ableitet. Der Wirkstoff richtet sich selektiv gegen CD20-positive B-Lymphozyten. Diese speziellen Immunzellen sind vermutlich für die Schädigung der Axone und der die Nervenfasern schützenden Myelinscheiden verantwortlich. In der Folge können Behinderungen entstehen.
Ocrevus könnte diese Neurodegenerationen ausbremsen. Der Arzneistoff bindet spezifisch an CD20-positive B-Zellen und interagiert nicht mit Zellen des Immunsystems. Neue B-Zellen werden weiterhin gebildet, das Gedächtnis des Immunsystems wird nicht beeinträchtigt. Entzündungen werden dagegen unterdrückt, Schübe vermindert und die fortschreitende Behinderung verlangsamt.
Das Medikament könnte laut Zulassungsantrag sowohl für die schubförmig remittierende MS (RRMS) als auch für die PPMS eingesetzt werden. Das Arzneimittel wird alle sechs Monate als Infusion zu 600 mg verabreicht. Die Wirksamkeit wurde in den Opera- und Oratorio-Studien belegt, die im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) veröffentlicht wurden. Die Oratorio-Studie schließt Daten von etwa 700 Patienten ein.