Bei bestimmten Brustkrebs-Patientinnen eingesetzte Gen-Tests bringen nach derzeitigem Stand keinen klaren Erkenntnisgewinn bei der Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie. „Der tatsächliche 'Mehrwert' der Biomarker-Tests für die Betroffenen kann erst beurteilt werden, wenn weitere Ergebnisse der laufenden Studien vorliegen“, teilte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln mit. Die Experten hatten vorläufige Ergebnisse der sogenannten MINDACT-Studie ausgewertet.
Mit einer Chemotherapie nach der Entfernung eines Tumors wollen Ärzte mögliche Metastasen ausschalten und so eine Wiederkehr der Erkrankung (Rezidiv) verhindern. Wie hoch das Risiko dafür ist, schätzen Mediziner in erster Linie über klinische Werte wie Alter, Zahl der betroffenen Lymphknoten, Tumorgröße und pathologische Untersuchungen des Gewebes ab. Doch gibt es bestimmte Konstellationen, bei denen eine Entscheidung für oder gegen die belastende Chemotherapie schwierig ist. In diesen Fällen erhoffen sich Mediziner von bestimmten Gentests entscheidende Hinweise. Sie untersuchen im Erbgut die Aktivität von Genen, die Auswirkungen auf eine Wiederkehr des Tumors haben.
In Deutschland erkranken jährlich 70.000 Frauen an Brustkrebs, etwa 80 Prozent von ihnen erleiden nach heutigem Ermessen nie mehr ein Rezidiv, heißt es beim IQWiG. Demnach lässt sich grob geschätzt bei 20.000 Patientinnen nicht sicher sagen, ob sie von einer Chemotherapie profitieren. Bei ihnen ist unklar, ob sie ohne Chemotherapie ein Rezidiv erleiden würden, beziehungsweise ob ihr Krebs überhaupt darauf ansprechen würde. „Wenn das nicht der Fall ist, ist eine Chemotherapie eine unnötige Belastung“, hieß es vom Institut.
Bei solchen Fällen könnten Biomarker-Tests bei der Entscheidung helfen. Derzeit gibt es in Deutschland vier verschiedene solcher Systeme. Das IQWiG hat sich Studien zu ihnen genauer angeschaut. Die Statistiker wollten wissen, ob die Tests jene Frauen sicher identifizieren, die auf eine Chemotherapie verzichten können.
Allerdings bewerteten die IQWiG-Experten nur eine einzige Untersuchung: die MINDACT-Studie, die sich mit dem „MammaPrint“-Test beschäftigt. Bei den anderen Studien war ihnen die Datenlage nicht gut genug. Die Ergebnisse der MINDACT-Studie ließen darauf schließen, dass das Testprinzip grundsätzlich funktioniere, hieß es nun. Allerdings sei bei einigen wenigen Frauen auf eine Chemotherapie verzichtet worden, obwohl diese nötig gewesen wäre.
Solche vereinzelten Fehlentscheidungen seien nur dann in Kauf zu nehmen, wenn der Verzicht auf die nebenwirkungsreiche Chemotherapie sehr große gesundheitliche Vorteile hätte. Die Daten zu Nachteilen solcher Therapien seien aber leider sehr vage. Es gibt laut IQWiG lediglich Schätzungen, wonach etwa zwei, drei Prozent der Chemotherapien zu Schäden an Herz, Nieren oder anderen inneren Organen führen, bis hin zum Tod.
Insgesamt kommt das Institut zu dem Schluss: „Gegenwärtig kann man einer Frau mit klinisch hohem und genetisch niedrigem Risiko nicht guten Gewissens von einer Chemotherapie abraten.“ Wie gut die genetischen Tests seien, könne erst beurteilt werden, wenn Daten aus einem längeren Zeitraum vorliegen, denn oft tauchten Metastasen in anderen Organen erst nach vielen Jahren auf.
Die Sichtweise des IQWiG erscheine nachvollziehbar, sagte Stefan Wiemann, Leiter der Abteilung Molekulare Genomanalyse am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, der nicht an der Analyse beteiligt war. Rezidive und Metastasen träten bei Brustkrebs häufig erst nach zehn bis 15 Jahren auf. „Ebenfalls nachvollziehbar ist die Kritik, dass mit dem ‘MammaPrint‘-Test nicht sämtliche Hochrisiko-Tumorpatientinnen entdeckt werden“, sagte Wiemann.
Auf Basis des Tests könne es zu Fehlentscheidungen kommen, keine Chemotherapie durchzuführen. „Für jede einzelne Patientin geht es um das persönliche Überleben, und es werden meist eher die negativen Begleiterscheinungen einer Chemotherapie akzeptiert als die Möglichkeit, aufgrund einer nicht-durchgeführten Behandlung sterben zu müssen.“
Die Analyse des IQWiG wurde vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt. Das Gutachten dient diesem Gremium als Grundlage für Entscheidungen zur Erstattung von Leistungen durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Derzeit können die Tests über bestimmte Modelle abgerechnet werden, werden aber nicht generell erstattet.
Die G-BA teilte in einer Reaktion auf den Bericht mit, dass für die weiteren Beratungen inklusive eines umfangreichen Stellungnahmeverfahrens mit wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Medizinprodukteherstellern und anderen nun etwa eineinhalb Jahre zu veranschlagen seien.
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