Die Beratung zur Pille danach könnte demnächst in der Apotheke komplizierter werden. Denn nach der britischen Arzneimittelbehörde MHRA wird auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) neue Hinweise zur Abgabe herausgeben. Die Mitarbeiter müssen dann eigenverantwortlich entscheiden, ob die Kundin eine oder zwei Tabletten einnehmen soll.
Bei der Abgabe von Notfallkontrazeptiva müssen Apotheker nachfragen, ob die Patientin andere Medikamente einnimmt. Denn die Wirksamkeit des empfängnisverhütenden Präparats kann durch Interaktionen verloren gehen: Arzneimittel, die das Leberenzym CYP3A4 anregen, fördern den Abbau von Levonorgestrel (LNG) und reduzieren damit den Wirkstoffgehalt im Blut.
Der Effekt kann bis zu vier Wochen anhalten. Zu den betroffenen Wirkstoffen gehören unter anderem Antikonvulsiva wie Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Oxcarbazepin und Carbamazepin sowie Rifabutin, Rifampicin, Griseofulvin und Ritonavir, Efavirenz und Nevirapin. In der Fachinformation sind entsprechende Hinweise enthalten.
Im Mai war auf europäischer Ebene ein Verfahren gestartet, das in Großbritannien bereits zu neuen Hinweisen geführt hat. Auch das BfArM hat nach Informationen von APOTHEKE ADHOC bereits einen Hersteller stellvertretend für alle Anbieter aufgefordert, ein Informationsschreiben für die Fachkreise aufzusetzen. Dem Vernehmen nach handelt es sich um den Postinor-Hersteller Gedeon Richter.
Auch bei Comedikation mit entsprechenden Enzyminduktoren müsse eine effektive Comedikation sichergestellt werden, so der voraussichtliche Tenor. Wie in Großbritannien soll der Einsatz einer Kupferspirale vorgeschlagen werden. Da dies im Versorgungsalltag zu Zeitverzögerungen führen würde und angesichts der neuerlichen Einbindung des Arztes insgesamt wenig praktikabel ist, dürfte die Gabe einer zweiten Tablette als Alternative deutlich häufiger zur Disposition stehen.
In der Selbstmedikation würde die Verantwortung dafür bei den Apotheken liegen – umso erstaunlicher mutet es daher an, dass mit dem Schreiben ausschließlich die Gynäkologen informiert werden sollen. Wann das Schreiben verschickt wird, war bislang nicht zu erfahren.
Spannend wird die Frage, wie die neue Vorgabe im Leitfaden der Bundesapothekerkammer (BAK) umgesetzt wird. Bislang werden potenziell relevante Interaktionen erwähnt. Konkrete Empfehlungen gibt es aber derzeit nicht: „Weitere Angaben zu gegebenenfalls relevanten Wechselwirkungen finden sich in den jeweils gültigen Fachinformationen, auf die ausdrücklich hingewiesen wird“, heißt es. Apotheker sollen die Dauermedikation protokollieren und die Patientin gegebenenfalls zum Arzt schicken, der dann über die Einlage einer Kupferspirale entscheiden soll.
Ulipristal, hierzulande enthalten in EllaOne, wird Frauen laut Fachinformation gar nicht empfohlen, wenn sie parallel einen starken CYP3A4-Induktor einnehmen oder in den vergangenen vier Wochen eingenommen haben. Hier werden beispielsweise durch Rifampicin Cmax und AUC von Ulipristalacetat um 90 Prozent oder mehr gesenkt und die Halbwertszeit um das 2,2-Fache verkürzt, was einer 10-fachen Verringerung der Exposition entspricht.
Notfallkontrazeptiva wurden im März 2015 aus der Rezeptpflicht entlassen. Auf die Zweifel – vor allem aus dem Lager der Frauenärzte – an der richtigen Beratung zu diesem Produkt reagierten die Apotheker: Die Kammern boten zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen an, die BAK entwickelte einen Leitfaden zur Beratung samt Checkliste für den HV-Tisch.
Nach IMS-Zahlen für das erste Quartal entfallen nach Packungen 65 Prozent EllaOne. Das Präparat mit 30 mg Ulipristal kann bis zu 120 statt 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr angewendet werden und ist noch patentgeschützt. Auf das LNG-Original PiDaNa entfallen 29 Prozent, Postinor sowie die Generika von Hexal (Unofem) und Aristo (Levonoraristo) sind mit niedrigen einstelligen Prozentwerten von untergeordneter Bedeutung. Im Juni brachte auch Stada ein entsprechendes Produkt auf den Markt.
Einen Absatz-Höchststand erreichten die Notfall-Verhütungsmittel im vergangenen August mit mehr als 62.000 abgegebenen Packungen. Im September ging er dagegen wieder auf 55.800 zurück, um bis Ende des Jahres wieder auf etwas mehr als 61.000 zu steigen. Im Februar 2015, dem Monat vor der Rezeptfreiheit, hatte der Absatz noch bei etwas mehr als 38.000 Einheiten gelegen.
Mit der Entlassung der Notfallkontrazeptiva aus der Rezeptpflicht verschob sich die Verteilung der unterschiedlichen Abgabe- beziehungsweise Rezeptformen. Reichten davor 20 Prozent der Frauen ein Rezept einer Krankenkasse und 80 Prozent ein Rezept der Privaten Krankenversicherung (PKV) ein, waren es nach der Freigabe nur noch 13 Prozent PKV- und 6 Prozent GKV-Rezepte. Vier von fünf Frauen kamen ohne Rezept. Im letzten Quartal 2015 lag die Verteilung sogar bei 85 Prozent Selbstmedikation sowie 10 Prozent PKV- und 4 Prozent GKV-Rezepte.
Ohne Rezept müssen Patientinnen das Arzneimittel selbst zahlen. Anspruch auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen besteht nur nach Verschreibung und für Frauen und Mädchen unter 20 Jahren. Dennoch verzichten die allermeisten Frauen auf ärztliche Beratung und Rezept.
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