Kommentar

Nicht-Liefer-Thyroxin trifft Nicht-Austausch-Liste

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Berlin -

25 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Schilddrüsenerkrankung, nehmen Hormone oder Jod. Levothyroxin gehört daher zu den meist verordneten Wirkstoffen. Logisch, dass die Krankenkassen möglichst wenig dafür zahlen wollen. Gleichzeitig ist das Molekül kompliziert herzustellen. Um die Preise zu halten, arbeiten die Hersteller Spitz auf Knopf – darunter leiden dann Ärzte, Apotheker und Patienten.

Levothyroxin wird fast 19 Millionen Mal im Jahr auf Kassenrezept verordnet, dazu kommen 3,6 Millionen Verordnungen für die Kombination mit Jod. Die Kassen feilschen also um jeden Cent – das müssen sie, bei der Menge. Dabei wird Levothyroxin nicht von vielen Herstellern angeboten – neben Sanofi und Merck, Hexal und Aristo/Lindopharm gibt es nur eine Handvoll Generikaanbieter, die in dem Markt aktiv sind. Zu komplex ist die Produktion, zu groß das Risiko, am Ende doch nicht liefern zu können.

Weil der Wirkstoff sich meist nur mit kurzen Verfallszeiten liefern lässt, fallen Herstellungsprobleme umso schwerer ins Gewicht. In der Branche wird „just in time“ produziert, Ausfälle kommen also zwangsläufig immer überraschend. Muss ein Anbieter kurzfristig klein bei geben, kann aber mittlerweile kein Konkurrent ohne Weiteres in die Bresche springen: Denn dank Aut-idem-Liste ist den Mitarbeitern am HV-Tisch der Austausch kategorisch verwehrt. Der Patient muss zum Arzt zurückgeschickt werden.

All dies zeigt, dass die Aut-idem-Liste die falsche Antwort auf ein echtes Problem ist. Wenn die Substitution bei einem Wirkstoff als kritisch gesehen wird, helfen keine Austauschverbote: Denn bei wirtschaftlichen Entscheidungen in den Produktionsabteilungen der Unternehmen spielt die Aut-idem-Liste keine Rolle. Gespart wird am Ende immer an der Qualität – und sei es zunächst nur die Lieferqualität.

Die Verantwortung übernehmen will keiner: In einem freien Markt regeln sich Angebot und Nachfrage selbst; die Kassen sehen sich als Kunden mit klarem Fokus auf den Preis – und nicht als Regulativ für eine gute Versorgung. Solange sich die Preisspirale dreht, laufen Patienten, Ärzte und Apotheker Gefahr, bei der Versorgung mit dringend benötigten Medikamenten improvisieren zu müssen.

Es wäre zu einfach, den Herstellern die Schuld in die Schuhe zu schieben: Immerhin stünde es ihnen frei, die Rabattverträge zu boykottieren. Die Ärzte in Nordrhein haben gezeigt, wie das geht, und sich unlängst über die „Papierlisten mit Rabattwünschen“ lustig gemacht, die die Ersatzkassen mit der Bitte um Beachtung verschickt hatten.

Doch gerade weil die Ausschreibungen an Bedeutung verloren haben, spielen die Festbeträge eine umso größere Rolle. Die ersten wichtigen Hersteller haben sich nach den jüngsten Absenkungen bereits aus dem Rennen verabschiedet; bei jeder zweiten Packung müssen Schilddrüsenpatienten mittlerweile die Differenz aus eigener Tasche bezahlen. Der Wechsel zu einer aufzahlungsfreien Alternative ist dank Austauschverbot schwieriger geworden. Vielleicht schwingt das Pendel zurück – in jedem Fall zu Lasten der Versicherten. Den Kassen dürfte das egal sein.

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