Neurophysiologie

Gedächtnis: Wirkmechanismus entschlüsselt Deniz Cicek-Görkem, 01.08.2017 14:02 Uhr

Berlin - 

Die Neuvernetzung von synaptischen Schaltungen, die für das Gedächtnis von Bedeutung ist, wird in Verbindung mit morphologischen Veränderungen der dendritischen Dornen gebracht. Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) konnten nun den dazugehörigen Signalweg entschlüsseln: Sie haben herausgefunden, dass Lernen und Erinnern unter Einfluss des Serotonin-Rezeptors stehen. Die im „Cell Report“ veröffentlichten Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapien zur Behandlung neurologischer und psychiatrischer Krankheiten wie beispielsweise Demenz.

Die extrazelluläre Matrix (EZM) umgibt die Neuronen im Gehirn und legt sich wie ein Netz um die Nervenzellen und die Kontaktstellen zwischen den Synapsen. Dies schützt und stabilisiert die Neuronen. Die Informationsspeicherung im Gehirn ist unter anderem an die EZM gebunden. Neue Informationen oder Erinnerungen, die stärker in den Vordergrund treten, führen dazu, dass sich die Kontakte zwischen den Neuronen intensivieren und neue Kontakte geknüpft werden. Um eine Neuvernetzung zu ermöglichen, muss die EZM zwischen den Neuronen gespalten werden, da sonst eine Synapsenbildung nicht möglich ist.

Der Neurotransmitter Serotonin (5-Hydroxy-Tryptamin, 5-HT) kommt ubiquitär vor und wirkt unter anderem auf die Signalübertragung im Zentralnervensystem. 5-HT-Rezeptoren werden in sieben Familien zusammengefasst, wobei 5-HT7-Rezeptoren neben anderen zu den G-Protein-gekoppelte Rezeptoren zählen.

Diese Andockstellen kommen teilweise auch an den Synapsen vor. Die MHH-Wissenschaftler haben gemeinsam mit polnischen Kollegen am Nencki-Institut in Warschau herausgefunden, dass für den Umbau der EZM die Serotoninrezeptoren 5-HT7 aktiviert werden müssen. Die neuen Erkenntnisse gehen hauptsächlich auf die Dissertation von Monika Bijata aus der Arbeitsgruppe von Professor Dr. Evgeni Ponimaskin des MHH-Instituts für Neurophysiologie zurück.

Die Forscher konnten zudem weitere zelluläre Mechanismen enthüllen: Sie fanden heraus, dass der 5-HT7-Rezeptor, die zinkhaltige Matrix-Metalloproteinase (MMP-9), der Hyaluronsäure-Rezeptor CD44 sowie die kleine GTPase Cdc42 zur selben Signalkaskade gehören. CD44 vermittelt Zellkontakte sowie Kontakte zur extrazellulären Matrix und bindet an MMP-9. Laut Studie führt eine Stimulation der 5-HT7-Rezeptoren zu einer erhöhten Aktivität von MMP-9, was wiederum den Umbau dendritischer Dornen triggert.

Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass 5-HT7 und CD44 interagieren, indem sie einen Proteinkomplex im Gehirn bilden. Eine wichtige physiologische Konsequenz davon ist, dass die Elongation dendritischer Dornen zunimmt. Diese haben möglicherweise einen positiven Effekt auf komplexe neuronale Prozesse wie beispielsweise „Reversal Learning“ und neuronale Regeneration.

Die Demenz ist gekennzeichnet durch Störungen in verschiedenen Arealen des Gehirns, die mit einer Einschränkung von Fähigkeiten wie Erinnern, Denken, Orientieren und Rechnen einhergeht. Ursache ist hauptsächlich der Verlust der Verbindungen zwischen den Nervenzellen, die auch nicht neu geknüpft werden können. Diesem Prozess könnte man mit neuen Arzneistoffen entgegen wirken, die die Bildung neuer beziehungsweise die Verstärkung existierender Synapsen fördern. „Wir wissen nun, dass auch die Substanzen helfen könnten, die den Serotoninrezeptor 5-HT7 spezifisch aktivieren. Diese wollen wir nun entwickeln und testen“, sagt Ponimaskin.