Mit Kupfer gegen ALS Dr. Kerstin Neumann, 05.02.2016 11:50 Uhr
Mit der „Ice Bucket Challenge“ hatte 2014 die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) hohe Bekanntheit erlangt. Jetzt gibt es positive Nachrichten aus der Wissenschaft: Ein US-Forscherteam hat ein neues Medikament zur Behandlung der seltenen Krankheit entwickelt. Im Tierversuch konnte die Lebensdauer von Mäusen nahezu normalisiert werden.
Die Forscher der Oregon State University haben einen Weg gefunden, die Funktionsfähigkeit des Enzyms Superoxiddismutase (SOD) zu beeinflussen, welches eine Rolle bei der Entstehung von ALS spielt. Das Enzym kann oxidativen Stress entschärfen, indem es Superoxid-Anionen zu Wasser reduziert. Es liegt in verschiedenen Formen in Zytoplasma, Mitochondrien und der extrazellulären Matrix vor. Zur Stabilisierung benötigt SOD je nach Form Kupfer, Zink, Mangan oder Nickel. Während Kupfer und Zink vor allem in humanen und tierischen Organismen vorkommen, findet man Nickel- und Mangan-SOD vor allem in Pflanzen.
Bei einigen Patienten mit ALS ist das Gen, welches die Unterform SOD1 codiert, mutiert. Das Enzym wird zwar exprimiert, aber nicht stabilisiert. Das ist gefährlich, denn unstabilisierte SOD kann akkumulieren und zu toxischen, Plaque-ähnlichen Ablagerungen führen. Offenbar fehlt das stabilisierende Kupfer-Ion, die Proteinstruktur entfaltet sich.
Man müsste also Kupfer gezielt in das Protein einbauen, so die Idee der Forscher. Dazu machten sie sich die Eigenschaften eines weiteren Moleküls zunutze: Kupfer-ATSM. Die Substanz wurde bislang vor allem in der Diagnostik eingesetzt. Über bildgebende Verfahren kann Kupfer-ATSM Gewebe identifizieren, die nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Laborversuche konnten aber zeigen, dass die Substanz spezifisch und schnell in Zellen lokalisiert wird, in denen sich das defekte SOD1-Protein befindet. Dort wird über eine enzymatische Reaktion das Kupfer-Ion aus dem Molekül in SOD übertragen.
Die Forscher zeigten sich überrascht, mit welcher Effizienz diese Übertragung in den Zellen stattfand. Sie untersuchten den Mechanismus in Mäusen – mit Erfolg: Die mit Kupfer-ATSM behandelten Tiere entwickelten funktionsfähige SOD1 und zeigten keine toxischen Ablagerungen im Knochenmark, dem Ort des Hauptgeschehens der ALS.
Durch die kontinuierliche Gabe konnte die Lebensdauer der Versuchstiere um durchschnittlich 18 Monate verlängert werden, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Science“. Umgekehrt zeigte sich aber auch, dass nach Absetzen der Behandlung die Mäuse das ursprüngliche Krankheitsbild rasch wieder entwickelten und innerhalb von drei Monaten starben.
Die Wissenschaftler erhoffen sich durch die Entdeckung einen Schritt nach vorn für die Entwicklung eine Medikamentes für ALS-Patienten. Der Einbau-Mechanismus des Kupfer-Ions in SOD1 ist in Menschen und Tieren vergleichbar, demnach müsste die Wirkung des Stoffes auch beim Menschen auftreten, erklären die Autoren. Allerdings tritt die Mutation des SOD-Gens nicht bei allen Patienten auf. Inwieweit der Mechanismus bei Patienten mit ALS unterschiedlicher Genese funktioniert, sollen nun klinische Studien klären.
ALS-Patienten leiden an fortschreitenden Muskellähmungen; sie können sich im Verlauf der Erkrankung nicht mehr bewegen und haben Schwierigkeiten zu schlucken, sprechen oder atmen. Weltweit sind Schätzungen zufolge 350.000 Menschen betroffen, etwa die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb der ersten drei Jahre daran. Die Prävalenz in Deutschland liegt bei weniger als 8 Fällen pro 100.000 Personen.
Es gibt auch eine Form, die eine Art Demenz auslöst. Dabei verlernen die Patienten, einfachste Aufgaben auszuführen und verlieren ihr Sprachverständnis. Nur bis zu 10 Prozent der ALS-Fälle treten familiär gehäuft und somit vererbt auf, der Rest tritt „spontan“ auf.
Im Schneeballeffekt hatte 2014 die „Ice Bucket Challenge“ weltweit Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Unterhaltung erfasst. Mit der ungewöhnlichen Aktion warben die Teilnehmer um Spendenbereitschaft für die Erforschung von ALS. Nach Angaben der ALS Association kamen mit der Eiskübel-Aktion mehr als 62 Millionen Dollar (rund 47 Millionen Euro) zusammen.