Peptide übernehmen vielfältige Aufgaben im Körper und werden auch als Arzneistoffe eingesetzt. Chemisch ungeschützt können sie den Gastrointestinaltrakt in der Regel nicht überstehen, da sie enzymatisch abgebaut werden. Um in Form von Tabletten oder Saft verwendet zu werden, sind daher Methoden erforderlich, die die enterale Bioverfügbarkeit erhöhen. Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) haben in internationaler Zusammenarbeit mit weiteren Kollegen ein Konzept entwickelt, das eine orale Applikation möglich machen könnte.
Im menschlichen Körper kommen Peptide unter anderem als Hormone sowie Neurotransmitter vor und üben vielfältige Funktionen aus. Bekannte Beispiele sind das Insulin, das den Zuckerstoffwechsel steuert oder Angiotensin, das bei der Blutdruckregulation eine Rolle spielt. „Peptide eignen sich wunderbar als Medikamente“, sagt Professor Dr. Horst Kessler vom Institute for Advanced Study der TUM. „Der Körper nutzt sie ja bereits als Signalmoleküle, und wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, können sie vom Körper recycelt werden – keine Anreicherung, keine aufwändige Entgiftung.“
Peptide, die im Körper vorkommen, haben unter physiologischen Bedingungen in der Regel kurze Halbwertszeiten. Nachdem sie ihre Funktion erfüllt haben, werden sie schnell beseitigt. Die Anforderungen für Peptid-Arzneimittel unterscheiden sich von den meisten physiologischen Peptiden insofern, als sie höhere physiologische Stabilitäten aufweisen sollten. Im Organismus werden die Peptidbindungen mittels im Magen-Darm-Trakt lokalisierter Enzyme an unterschiedlichen Stellen des Moleküls gespalten.
Wie kann diese physiologische Gegebenheit umgangen werden, wenn gleichzeitig Peptide zur oralen Anwendung eingesetzt werden sollen? Eine Lösung wären Schutzgruppen. „In den letzten Jahren haben wir einige wirksame Strategien entwickelt“, sagt Kessler. Ringförmige Peptide seien beispielsweise schwerer angreifbar. „Die Amidgruppen können mit Methylgruppen geschützt werden, und auch der Einbau von spiegelverkehrt aufgebauten D-Aminosäuren erschwert den Angriff der Verdauungsenzyme“, erläutert der Professor.
Doch mit den modifizierten Peptid-Verbindungen sei es nicht getan: Die Substanzen würden zwar den Weg durch den Gastroinstestinaltrakt überstehen, allerdings würden die Zellen der Darmwand die Aufnahme ins Blut verweigern. Spritzen sei daher in der Regel der einzige Weg, solche Wirkstoffe in den Körper zu bringen. Um herauszufinden, ob sich dies umgehen lässt, entwickelten die Forscher zunächst ein ringförmiges Modellpeptid, das aus sechs Alanin-Molekülen bestand. Sie untersuchten, wie sich der Ersatz von Wasserstoffatomen der Peptidbindungen durch Methylgruppen auf die orale Bioverfügbarkeit auswirkt.
Analysen an Zellsystemen an der Hebrew University in Jerusalem demonstrierten, dass nur ganz bestimmte Peptid-Varianten sehr schnell aufgenommen werden. „Es sieht so aus, als könnten zyklische Hexapeptide mit einer bestimmten Struktur ein vorhandenes Transportsystem nutzen“, sagt Kessler. Als Ziel für ihre Peptide wählten die Wissenschaftler Integrin-Rezeptoren, die an der Zelloberfläche vielfältige Funktionen steuern; unter anderem leiten sie Informationen über die Umgebung der Zelle ins Zellinnere. Die Arbeitsgruppe um Kessler baute eine Schlüsselfrequenz aus den drei Aminosäuren Arginin, Glycin und Asparaginsäure an verschiedenen Positionen ihres Modellpeptids ein. So wurden neue Varianten geschaffen.
Es stellte sich heraus, dass sowohl die negativ geladene Seitenkette der Asparaginsäure als auch das positiv geladene Arginin ungeeignet für die Nutzung des Transportsystems sind. Deshalb nutzten die Forscher erneut eine Maskierung mithilfe von bestimmten Schutzgruppen, die im Blut von Enzymen wieder absgepalten werden. Am Ziel angekommen sei die pharmazeutische Wirkung damit wiederhergestellt. Die danach durchgeführten in vitro-Studien an der Queen Mary University of London belegten die biologische Wirkung des neue Hexapeptids. Mäuse, die das maskierte Hexapeptid verabreicht bekamen, zeigten die gleiche Wirkung wie die Labortiere, denen das unmaskierte Hexapeptid gespritzt wurde.
„Experten haben in der Vergangenheit die orale Verfügbarkeit peptidbasierter Medikamente als den „heiligen Gral der Peptidchemie“ bezeichnet. Mit unserer Arbeit liefern wir eine Strategie, wie die Herausforderungen der Stabilität, der Aufnahme in den Körper und der biologischen Wirksamkeit gelöst werden können“, sagt Kessler. Künftig könnte es damit leichter werden, Peptid-Medikamente herzustellen, die als Saft oder Tablette gegeben werden könnten.
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