Drohende Engpässe

Neue Auflagen für Ethanol: Verbände schlagen Alarm Lilith Teusch, 18.11.2024 14:36 Uhr

Ein aktuelles Verfahren der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zur Risikoeinstufung von Ethanol könnte zu erheblichen Einschränkungen in der Industrie führen. Vier Verbände schlagen Alarm. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Vier Verbände der Gesundheitsindustrie warnen vor der geplanten Gefahreneinstufung von Ethanol durch ein aktuelles Verfahren der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Eine verschärfte Einstufung hätte gravierende Folgen für die Herstellung wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte und könnte damit die Patientenversorgung beeinträchtigen, warnen der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), der Industrieverband Hygiene und Oberflächenschutz (IHO) sowie der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) in einer gemeinsamen Stellungnahme. 

„Während die missbräuchliche Einnahme von Alkohol unserer Gesundheit schaden kann, ist Alkohol in der Medizin und Hygiene unverzichtbar. Ethanol ist in Produktionsprozessen sowie in Desinfektionsmitteln, Arzneimitteln oder Medizinprodukten wirksam, sicher und unabdingbar“, so die Verbände.

Ein aktuelles Verfahren der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zur Risikoeinstufung von Ethanol könnte dazu führen, dass nicht nur die Verwendung von Ethanol als Haupt- oder Hilfswirkstoff in Produkten und Produktionsprozessen erschwert, sondern auch die Nutzung im Rahmen geltender Arbeitsschutzregelungen erheblich eingeschränkt werden könnte, warnen die Verbände. Dabei ergebe sich die verschärfte Einstufung ausschließlich aus vorhandenen Daten zur oralen Aufnahme von Ethanol.

Gemeinsames Informationspapier

In einem gemeinsamen Informationspapier geben die vier Verbände Hintergründe zu den Ethanol-Anwendungen in der Gesundheitsversorgung. Ethanol sei ein essenzieller Wirkstoff in Desinfektionsmitteln, da es hochwirksam gegen Bakterien und Viren, sicher und biologisch abbaubar ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufe ethanolhaltige Händedesinfektionsmittel als unverzichtbar ein, betonen die Verbände. Ethanol wirke spezifisch und alternativlos gegen unbehüllte Viren wie Polioviren und könne die Zahl nosokomialer Infektionen durch den Einsatz alkoholischer Händedesinfektionsmittel deutlich senken.

Eine Einstufung als CMR-Gefahrstoff (Cancerogen Mutagen Reprotoxic) der Kategorie 1 oder 2, würde den Einsatz dieser Mittel erheblich beeinträchtigen. „Um ethanolhaltige Produkte weiterhin in der medizinischen Versorgung einsetzen zu können, darf Ethanol nicht als CMR-Substanz der Kategorien 1 oder 2 eingestuft werden“, fordern die Verbände.

Auch Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (IVD) wären von einer solchen Einstufung stark betroffen. Ethanol wird in Produktionsprozessen wie der Reinigung und Desinfektion von Anlagen, bei Klebungen und Beschichtungen sowie als Lösemittel eingesetzt. In der In-vitro-Diagnostik dient es unter anderem als Lösungsmittel oder Konservierungsmittel. Ethanol sei zudem ein zentraler Bestandteil in Medizinprodukten und Dual-Use-Produkten, die sowohl zur Desinfektion von Medizinprodukten als auch für Flächen- und Händedesinfektion genutzt werden.

In der Arzneimittelherstellung werde Ethanol außerdem als Trägerstoff, Konservierungsmittel und zur Extraktion von Wirkstoffen und ätherischen Ölen verwendet, die nicht wasserlöslich sind. Insbesondere bei pflanzlichen Arzneimitteln sei Ethanol unverzichtbar, da es die Stabilität, Haltbarkeit und Wirksamkeit sichert.

Versorgungssicherheit gefährdet

„Um eine gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit Desinfektionsmitteln, Reinigern, Arzneimitteln und Medizinprodukten, sowie die Produktions- und Lieferfähigkeit mit entsprechenden Endprodukten gewährleisten zu können, muss eine Einstufung von Ethanol als CMR-Substanz der Kategorien 1 oder 2 dringend vermieden werden“, schließen die Verbände. Andernfalls würde dies dem Zweck der Biozid- und der CLP-Verordnungen zuwiderhandeln, die Gesundheit des Menschen zu verbessern. Stattdessen gäbe es eine Verschlechterung bei der Hygiene und der Gesundheitsversorgung, warnen sie.

„Der Schutz vulnerabler Patientengruppen, insbesondere im Krankenhaus beziehungsweise im ambulanten Sektor, könnte nicht mehr sichergestellt werden. Gerade auch in Pandemiezeiten ist Ethanol unverzichtbar, um die Versorgung der gesamten Bevölkerung mit wirksamen Desinfektionsmitteln sicherzustellen und damit eine entscheidende Säule im Infektionsschutz zu gewährleisten. Deshalb muss die von der ECHA geplante Gefahreneinstufung von Ethanol im medizinischen Bereich verhindert werden“, so die Verbände.