Zulassungsempfehlung für Gentherapie Dr. Kerstin Neumann, 04.04.2016 14:18 Uhr
Die Gentherapie Strimvelis hat die Zulassungsempfehlung zur Behandlung sogenannter „Bubble Babys“ mit dem schweren Immundefekt SCID (Severe Combined Immunodeficiency Disorder) erhalten. Außerdem wurden mit dem Onkologikum Darzalex (Daratumumab), dem Orphan Drug Galafold (Miglistat) und einem weiteren Nasenspray zur Grippeimpfung weitere Innovationen von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Zulassung empfohlen. Die EU-Kommission muss den Empfehlungen noch zustimmen.
Den von SCID betroffenen Kindern fehlt das Gen für das Enzym Adenosindesaminase. Sie besitzen dadurch so gut wie keine körpereigene Abwehr, sodass sie möglichst abgeschirmt von ihrer Umwelt leben müssen. An sich harmlose Keime können für sie eine tödliche Gefahr darstellen. Laut Strimvelis-Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) sind weltweit rund 350 Kinder von der Krankheit betroffen, die sich innerhalb der ersten sechs Lebensmonate entwickelt. Wird kein geeigneter Stammzell-Donor gefunden, verläuft die Krankheit in der Regel innerhalb von zwei Jahren tödlich.
Strimvelis wurde bereits im Jahr 2005 der Orphan-Drug-Status zugesprochen. Bei der Gentherapie werden Stammzellen aus dem Knochenmark der Patienten entnommen, in die das intakte Gen für die Adenosindeaminase übertragen wird. Die so behandelten Zellen werden anschließend wieder zurück verpflanzt. Die Zellen sind dann in der Lage, sich zu verschiedenen Blut- und Immunzellen zu differenzieren. Die Patienten erhalten dadurch lebenslang die Fähigkeit, Lymphozyten zu produzieren, die Infektionen bekämpfen.
Die Therapie mit Strimvelis wurde in einer klinischen Studie mit zwölf Kindern getestet. Alle Patienten sind auch nach siebenjähriger Beobachtungsphase am Leben. Eine andere therapeutische Option außer einer Stammzelltransplantation gibt es bislang nicht.
Eine vorläufige Zulassungsempfehlung erhielt das Onkologikum Darzalex. Der monoklonale Antikörper soll bei Patienten mit multiplem Myelom eingesetzt werden. Mit dem Instrument der vorläufigen Empfehlung kann die EMA Arzneimittel schneller zur Marktreife bringen, sofern der Nutzen einer sofortigen Verfügbarkeit als höher eingestuft wird als die Risiken.
Janssen hat gemeinsam mit Genmab in den USA bereits im vergangenen Jahr die Zulassung für Darzalex erhalten. Myelompatienten sollen von dem Produkt profitieren, die mindestens drei Vortherapien erhalten haben, darunter ein immunmodulatorisches Medikament und ein Proteasomenhemmstoff. Daratumumab richtet sich gegen das Signalmolekül CD38, welches sich auf der Oberfläche von Tumorzellen befindet. Der Wirkstoff greift die Zelle direkt an, vermittelt aber auch eine Immunantwort des Patienten gegen die Myelomzellen.
Die Empfehlung der EMA beruht auf zwei klinischen Studien. Unter Darzalex-Therapie konnte nach einer Behandlungsdauer von sieben Monaten ein Rückgang oder sogar ein vollständiges Verschwinden der Tumoren bei etwa 30 Prozent der Patienten beobachtet werden.
Galafold soll nach dem Willen der EMA zukünftig für die personalisierte Therapie der seltenen lysosomalen Speicherkrankheit Morbus Fabry eingesetzt werden, die durch einen Mangel des Enzyms alpha-Galaktosidase A charakterisiert ist. Weltweit sind knapp 10.000 Menschen betroffen. Der Wirkstoff steigert die Aktivität des Enzyms und ist eine Alternative zur Enzymersatztherapie. Während diese allerdings nur als Infusion eingesetzt werden kann, steht mit dem Arzneimittel des Herstellers Amicus erstmalig eine Alternative zur oralen Behandlung zur Verfügung.
Der Wirkstoff bindet an das defekte Enzym, welches einen Transport an den Wirkort erlaubt. Dort kann durch Migalastat die Funktion der Galactosidase wieder hergestellt werden. Geeignet ist Galafold für Patienten mit AT1001-ansprechbarer GLA-Mutation. Das entspricht immerhin zwischen 30 und 50 Prozent aller Betroffenen.
Eine weitere Empfehlung zu Zulassung erhielt der pandemische Lebendimpfstoff gegen Grippe des Stammes H5N1. Der Impfstoff ist als Nasenspray verfügbar und soll in einem Pandemiefall für Kinder ab zwölf Monaten und Jugendliche angewendet werden.
Der Stamm H5N1, als „Vogelgrippe“ bekannt geworden, habe pandemisches Potenzial, so Hersteller MedImmune. Der Wirkstoff basiert auf den biologisch aktiven Substanzen des AstraZeneca-Impfstoffes Fluenz Tetra, enthält aber nur einen Stamm, der vor allem bei Kindern und jungen Erwachsenen schwere Krankheitsverläufe hervorruft.
Vermarktet werden kann ab sofort Coagadex. Der rekombinante Faktor A erhielt nach der EMA-Empfehlung im Februar jetzt die Zulassung durch die EU-Kommission. Das Produkt des Spezialherstellers Bio Products kann damit EU-weit zur Prophylaxe und Behandlung von Blutungsepisoden von Patienten mit hereditärer Faktor-X-Defizienz eingesetzt werden. Coagadex hatte bereits 2007 den Status als Orphan Drug erhalten. Die Datengenerierung erwies sich als langwierig: Für die äußerst seltene Erkrankung hatte der Hersteller in zwei offenen Studien nur insgesamt nur 16 Patienten rekrutieren können.
Die Ergebnisse überzeugten jedoch: Spontan auftretende Blutungen konnten zu 98,8 Prozent mit gutem oder sehr gutem Erfolg gestoppt werden. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Rötung und Schmerzen an der Injektionsstelle, Rückenschmerzen und Müdigkeit.