Orphan Drugs und neue Schnelldreher Dr. Kerstin Neumann, 18.01.2016 08:14 Uhr
Neben den großen Gebieten der Onkologie und Infektiologie wird für die forschende Pharmaindustrie der Markt der Orphan Drugs immer interessanter. Medikamente gegen seltene Erkrankungen durchlaufen einen schnelleren Zulassungsprozess, zudem gilt in Deutschland ein Zusatznutzen für diese Medikamentengruppe als belegt. Zehn Orphan Drugs stehen für 2016 in den Startlöchern. Zudem kann mit Neuheiten in der Asthma-, Epilepsie- und Psoriasis-Behandlung gerechnet werden. Die Kandidaten für 2016 – Teil 3.
Wakix (Pitolisant, Bioprojet): Das Antihistaminikum soll bei erwachsenen Patienten zur Behandlung der Narkolepsie mit oder ohne Kataplexie eingesetzt werden. Unter Kataplexie versteht man kurzzeitiges Muskelversagen, welches durch überraschende Reize wie Erschrecken oder Lachen hervorgerufen wird. Das Präparat wird als Tablette à 4,5 mg und 18 mg erhältlich sein. Pitolisant ist ein inverser Agonist des histaminergen H3-Rezeptors. Durch den Wirkstoff wird die Histamin-vermittelte Signalübertragung im Gehirn verstärkt, was zu einer Verminderung der Schläfrigkeit der Patienten führt. Bereits 2007 hatte die EMA dem Produkt von Hersteller Bioproject den Orphan Drug-Status zuerkannt.
N.N. (Begelomab, Adienne): Der gentechnisch hergestellte Wirkstoff soll beim Auftreten von Komplikationen in Folge einer einer allogenen Knochenmark- oder Stammzelltransplantation eingesetzt werden. Bei dem als Graft-versus-Host-Reaktion (GvHR) bezeichneten Ereignis reagieren vor allem die im Transplantat enthaltenen T-Lymphozyten eines Spenders gegen den Empfängerorganismus. Als Inhibitor der Dipeptidyl-Peptidase 4 (DPP IV) greift Begelomab in das Geschehen des Immunsystems ein und verhindert die Abstoßungsreaktion. Die Substanz soll als Second-line-Therapie zugelasen werden, wenn die Behandlung mit Glukokortikoiden nicht erfolgreich war.
Hetlioz (Tasimelteon, Vanda): Das Mittel wird zur Behandlung einer Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus bei blinden Erwachsenen (Non-24-Hour Sleep-Wake Disorder) verwendet. Tasimelteon ist ein Melatonin-Rezeptoragonist und wirkt als zirkadianer Regler, der die „innere Uhr“ im suprachiasmatischen Kern zurücksetzt. Hetlioz soll als Kapsel in der Stärke 20 mg erhältlich sein. Tasimelteon ist seit Februar 2011 als Orphan Drug eingestuft. Vanda zufolge wäre Hetlioz in der EU das erste Präparat zur Behandlung der Störung.
N.N. (autologe, CD34+angereicherte Zellfraktion, GSK): Als Orphan Drug im Zulassungsprozess soll der Wirkstoff zur Behandlung des schweren kombinierten Immunmangels (SCID) durch Mangel an Adenosin Deaminase (ADA) eigesetzt werden. Bei Patienten mit dieser Erkrankung sind die T-Lymphozyten defekt oder fehlen komplett. Dadurch ist die zellvermittelte Immunabwehr nicht vollständig funktionstüchtig. Die CD34+ hämatopoetischen Stammzellen werden ex vivo mit einem retroviralen Vektor gekoppelt, der ADA codiert. In der EU sind etwa 15 Neugeborene jährlich von der Krankheit betroffen.
Kyndrisa (Drisapersen, Prosensa): Auch dieses Präparat besitzt Orphan Drug-Status. Es soll nach Zulassung Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie zugute kommen. Der chemisch hergestellte Wirkstoff ist ein Antisense-Oligonukleotid, der ein Auslassen des krankheitsrelevanten Exons 51 des Dystrophie-Gens bewirkt. In den USA versucht Prosensa seit 2014, die Zulassung zu erhalten. Bei der EMA ging der Antrag im Juli 2015 ein.
Galafold (Migalastat HCl, Amicus): Galafold soll für die personalisierte Therapie der seltenen lysosomalen Speicherkrankheit Morbus Fabry eingesetzt werden. Weltweit sind knapp 10.000 Menschen betroffen. Der Wirkstoff steigert die Aktivität der alpha-Galaktosidase A und ist eine Alternative zur Enzymersatztherapie. Geeignet ist Galafold für Patienten mit AT1001-ansprechbarer GLA-Mutation. Das entspricht immerhin zwischen 30 und 50 Prozent aller Betroffenen.
Nucala (Mepolizumab, GSK): Das Präparat von GlaxoSmithKline (GSK) ist der erste biologische Interleukin-Antagonist, der für schwer refraktäre Asthmatiker zugelassen wird. Mepolizumab wirkt bei Erkrankungen, die durch die dauerhafte und deutliche Anreicherung der Eosinophilen im Blut und in den Organen gekennzeichnet sind. Als Antikörper gegen den Botenstoff Interleukin-5 (IL-5) soll Mepolizumab die Ansammlung dieser weißen Blutkörperchen im Blut verringern. IL-5 ist laut GSK hauptverantwortlich für die Steuerung und Regulation von Eosinophilen im Blut und essentiell für deren Bewegung aus dem Knochenmark in die Lunge. Der monoklonale Antikörper wird in vierwöchigem Abstand subkutan injiziert. Patienten erhalten 100 mg zusätzlich zu ihrer normalen Medikation.
N.N (Reslizumab, Teva): Das Asthmamittel wurde ursprünglich von Schering-Plough entwickelt, fiel aber 2011 nach einigen Umwegen an den israelischen Hersteller. Auch dieser Antikörper ist ein IL-5-Antagonist, der die inflammatorischen Prozesse in der Lunge steuert. Reslizumab soll bei nicht ausreichend kontrolliertem Asthma bei erwachsenen Patienten mit erhöhter Vermehrung der eosinophilen Granulozyten – trotz einer auf Kortikosteroiden basierenden Inhalationstherapie (ICS) – zum Einsatz kommen.
N.N (Brodalumab, AstraZeneca): Der monoklonale Antikörper ist für die Behandlung von Psoriasis und Psoriasis-Arthritis vorgesehen. Der Wirkstoff blockiert den Signalweg der Interleukine IL-17A, IL-17F und IL-25 und supprimiert so die Immunabwehr der Patienten. Entwickelt wurde das Produkt gemeinsam von Amgen und AstraZeneca. Der US-Konzern kündigte die Beteiligung jedoch auf, nachdem in der Entwicklung nach Angaben des Herstellers vermehrt Suizide aufgetreten waren. AstraZeneca hält dennoch an der Substanz fest und hat im November die Zulassung bei der EMA beantragt.
N.N. (Ixekizumab, Lilly): Das noch nicht benannte Mittel ist ein gentechnisch hergestellter, humanisierter, monoklonaler Antikörper. Er richtet sich gegen Interleukin-17A. Das Zytokin induziert unter anderem die Produktion weiterer Zytokine und Prostaglandine und spielt eine Rolle bei der Aktivierung CD4-positiver Zellen. Der Hersteller plant, den Antikörper in Zukunft auch gegen ankylosierende Spondylitis, arthritische Psoriasis und rheumatoide Arthritis auf dem Markt zu bringen.
Viberzi (Eluxadolin, Forest): Der Wirkstoff soll zur Behandlung des Reizdarmes mit Durchfall verwendet werden. Das Wirkprinzip ist bekannt: Eluxadolin ist ein spezifischer Opioidrezeptor-Ligand an den im Darm vorkommenden Subtypen mu1 und delta1. An mu-Rezeptoren wirkt die Substanz, wie Loperamid auch, agonistisch. Durch die zusätzliche Blockierung des delta-Rezeptors soll weniger Verstopfung als Nebenwirkung auftreten. Der Wirkstoff wird zweimal täglich als Tablette eingenommen und wirkt lokal.
N.N (Velcalcetid, Amgen): Dialysepatienten sollen nach dem Willen von Amgen von dem Calcuim-sensiblen Rezeptoragonisten profitieren. Es wird gegen sekundären Hyperparathyreoidismus bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz eingesetzt. Durch die Aktivierung des Rezeptors werden die Ausschüttung von Parathormon verringert und der Serum-Calciumspiegel gesenkt. Das Produkt wird als Infusion verabreicht.
N.N (Obeticholsäure, Intercept): Das Medikament gegen biliäre Zirrhose ist der erste Vertreter der neuen Klasse der Farnesoid-X-Rezeptoragonisten. Als Analogon der natürlichen Gallensäure CDCA führt Obeticholsäure zu einem verstärkten Abbau und verminderter Biosynthese von Gallensäuren. So kann unter anderem einer Vernarbung der Leber vorgebeugt werden. Intercept testet die Substanz außerdem gegen nicht-alkoholbedingte Steatohepatitis, alkoholbedingte Hepatitis und Gallengangentzündung.
Briviact (Brivaracetam, UCB): Briviact soll als Zusatzbehandlung fokaler Epilepsieanfälle eingesetzt werden. Patienten ab 16 Jahren können die Tabletten in Dosierungen zwischen 10 und 100 mg erhalten. Außerdem sollen eine Lösung zur oralen Einnahme sowie eine Injektionslösung auf den Markt kommen. Die antikonvulsive Aktivität von Brivaracetam wird vermutlich durch die Interaktion mit dem synaptischen Vesikelprotein 2A (SV2A) hervorgerufen. Der genaue Mechanismus ist bislang nicht bekannt. Brivaracetam ist strukturell verwandt mit Levetiracetam, zeichnet sich aber durch eine höhere krampflösende Aktivität aus.
Zurampic (Lesinurad, AstraZeneca): Lesinurad inhibiert selektiv die Reabsorption von Harnsäure und soll unterstützend bei Gichtanfällen eingesetzt werden. Voraussetzung ist die vorhergehende Behandlung mit einem Xanthinoxidase-Hemmer. Zurampic soll als Tablette mit einer Wirkstärke von 200 mg in den Handel kommen.