In diesem Jahr könnten laut Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) bis zu 70 Innovationen auf den Markt kommen. Allein 16 Wirkstoffe sollen in der Krebstherapie eingesetzt werden. Zehn Substanzen haben einen Status als Orphan Drug erhalten. Außerdem in der Pipeline: Antibiotika, Mittel gegen Hämophilie und Immunsuppressiva. Eine Auswahl der Kandidaten für 2016 – Teil 1.
Tagrisso (Osimertinib, AstraZeneca): Das Krebsmittel soll zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasierendem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) eingesetzt werden. Der Wirkstoff Osimetenib ist ein Tyrosinkinaseinhibitor. Er zeigt bei Anwesenheit der genetischen Mutation T790M eine signifikante Wirkung und soll daher nur bei T790M-positiven Patienten angewendet werden. Tagrisso wird oral verabreicht; es werden Filmtabletten mit 40 und 80 mg zur Verfügung stehen.
Portrazza (Necitumumab, Lilly): Portrazza soll bei Lungenkrebs eingesetzt werden. Das Produkt von Lilly wird in Kombination mit Gemcitabin und Cisplatin bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasierendem NSCLC angewendet, die zuvor noch keine andere Therapie erhalten haben. Der monoklonale Antikörper wirkt spezifisch und hochselektiv auf den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) in der Tumorzelle und blockiert die Bindungsstelle des natürlichen Liganden.
N.N. (Rociletinib, Clovis): Rociletinib soll für die Therapie von Patienten mit fortgeschrittenem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) eingesetzt werden. Hersteller Clovis hat sowohl in den USA als auch in Europa die Zulassung beantragt. Die Substanz bindet selektiv an EGF-Rezeptoren mit T790M-Mutation und hemmt diese. Parallel wird ein sogenanntes „Companion Diagnostikum“ zur Feststellung der Mutation entwickelt.
N.N. (Alectinib, Roche): Alectinib hemmt die Anaplastische Lymphomkinase (ALK) und soll bei Patienten mit fortgeschrittenem ALK-positivem (ALK+) nicht-kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) eingesetzt werden. Als Second-line-Therapie ist die Behandlung erst angezeigt, wenn die Erkrankung trotz Gabe von Crizotinib weiter fortschreitet. In Studien konnte bei der Hälfte der Patienten eine signifikante Reduktion der Tumoren gezeigt werden. Zusätzlich greift Alectinib auch Hirnmetastasen an – ein Effekt, der bei anderen Medikamenten mit gleicher Indikation bisher nicht gezeigt wurde.
Oncaspar (Pegaspargase, Baxalta), Spectrila (L-Asparaginase
, Medac): Mit Oncaspar und Spectrila sind zwei neue Mittel zur Behandlung der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL), die bereits zur Zulassung empfohlen wurden. Die aktive Substanz in Spectrila ist das Enzym Asparaginase, welches die Hydrolyse der Aminosäure Asparagin katalysiert. Der Abbau führt in Leukämie-Zellen zur Apoptose. Spectrila war bereits 2005 als Orphan Drug in den Zulassungsprozess gestartet. Das Produkt soll sowohl Erwachsenen als auch Kindern zugänglich gemacht werden. In Studien konnte eine vollständige Remission der Patienten unter Behandlung mit dem Onkolytikum gezeigt werden. Ähnliche Daten konnte auch Baxalta für die pegylierte Version der Asparaginase zeigen.
Zalmoxis (Thymidinkinase, MolMed): Der Name des Medikamentes geht auf eine griechische Gottheit zurück, die Verstorbenen das ewige Leben schenkt. Das Medikament soll nach Zulassung zur ergänzenden Gentherapie bei Patienten mit Hochrisiko-Leukämie eingesetzt werden. Der Wirkstoff besteht aus gentechnisch veränderten T-Zellen, die das Thymidinkinase „Selbstmord-Gen“ des Herpes Simplex Virus (HSV TK) exprimieren. Dadurch werden die körpereigenen T-Zellen angegriffen. Die Zellen werden während der Stammzelltransplantation verabreicht und sollen die Wiederherstellung des Immunsystems beschleunigen. Dadurch können auch Stammzellspenden von weniger gut passenden Spendern genutzt werden.
Graspa (Eryaspase, Erytech): Auch Graspa ist ein Orphan Drug. Es soll eingesetzt werden gegen akute lymphatische Leukämie. Das Produkt erzielte in Phase II/III-Studien vielversprechende Ergebnisse: Bei zwei Dritteln der behandelten Patienten konnten deutliche Verbesserungen bis hin zur kompletten Remission beobachtet werden. Eryaspase ist in Erythrozyten verkapselte L-Asparaginase. Das Enzym dezimiert Asparagin, welches entscheidend zum Überleben und zur Proliferation von Krebszellen beiträgt, im zirkulierenden Blutplasma. Hersteller Erytech untersucht den Einsatz den Produktes auch für die Behandlung solider Tumore.
N.N. (Venetoclax, AbbVie/Roche): Das Krebsmedikament wurde im November zur Zulassung bei der EMA eingereicht. Der Wirkstoff ist ein selektiver BCL-2 Inhibitor. Das Protein spielt eine wichtige Rolle beim programmierten Zelltod, der Apoptose. Durch die Blockade wird vermutlich die Signalkaskade wiederhergestellt, die Krebszellen dazu bringt, sich selbst zu zerstören. In klinischen Studien wurde eine deutliche Verringerung der Krebszellen in Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) festgestellt. Der Wirkstoff kann oral eingenommen werden. Die Hersteller prüfen außerdem einen Einsatz zur Behandlung von B-Zell-Lymphomen und Lupus erythematodes.
Empliciti (Elotuzumab, BMS/AbbVie): BMS und AbbVie haben sich bei der Entwicklung des monoklonalen IgG1-Antikörpers zusammengetan. Emplicity soll bei der Behandlung des rezidivierenden oder refraktären Multiplen Myeloms zur Anwendung kommen. Der Wirkstoff richtet sich gegen ein Oberflächen-Glykoprotein der Myelomzellen. Geplant ist, das Produkt in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason zu verabreichen.
Ninlaro (Ixazomib, Takeda): Für Ninlaro hat Takeda die Zulassung zur Behandlung des Multiplen Myeloms beantragt. Der oral einzunehmende Proteasominhibitor ist auch in der Entwicklung für andere Krebs- und Immunerkrankungen. Bei Blutkrebs wird der Wirkstoff voraussichtlich in Kombination mit der etablierten Therapie aus Lenalidomid und Dexamethason eingesetzt werden.
Darzalex (Daratumumab, Janssen/Genmab): Janssen und Genmab haben in den USA bereits die Zulassung für Darzalex erhalten; dort sollen Myelompatienten von dem Produkt profitieren, die mindestens drei Vortherapien erhalten haben, darunter ein immunmodulatorisches Medikament und ein Proteasomenhemmstoff. Daratumumab richtet sich gegen das Signalmolekül CD38, welches sich auf der Oberfläche von Tumorzellen befindet. Der Wirkstoff greift die Zelle direkt an, vermittelt aber auch eine Immunantwort des Patienten gegen die Myelomzellen.
Unituxin (Dinutiximab, United Therapeutics):Unituxin soll in Kombination mit koloniestimulierenden Faktoren (GM-CSF), Interleukin-2 und Isotretionen bei Patienten mit Hochrisiko-Neuroblastom eingesetzt werden. Die Nervenzelltumore treten vor allem bei kleinen Kindern auf, das Präparat hat daher den Status als Orphan Drug erhalten. Dinutiximab blockiert das Disialogangliosid GD2, das in großer Menge auf der Oberfläche von Melanomzellen vorkommt. In der zulassungsrelevanten Studie mit 230 Patienten wurde die Kombination mit der alleinigen Behandlung mit Isotretionin verglichen. Die Überlebensrate nach zwei Jahren lag bei 66 versus 48 Prozent.
Odomzo (Sonidegib, Novartis): Novartis hat von der EU-Kommission die Zulassung für das Medikament Odomzo für die Behandlung von lokalem, fortgeschrittenem Hautkrebs erhalten. Basalzellkarzinom ist die am häufigsten auftretende Form von Hautkrebs und kann in einem fortgeschritten Stadium stark entstellend sein. Odomzo wird als Tablette einmal täglich angewendet. Der Wirkstoff ist ein selektiver Inhibitor des sogenannten Smoothened. Der G-Protein-gekoppelte Rezeptor ist ein wichtiges Element in der Signalkaskade des Hedgehog-Signalweges, der für die Vermehrung von Krebszellen mit verantwortlich ist.
Imlygic (Talimogen Laherparepvec, Amgen):Imlygic ist der erste Vertreter einer neuen Substanzklasse. Die aktive Substanz, Talimogene laherparepvec, ist ein gentechnisch verändertes Herpes-simplex-Virus (HSV-1). Es ist so konstruiert, dass es bei Tumorzellen eine übermäßige Produktion des humanen Immunproteins GM-CSF auslöst. Dies führt zu einem so hohen Energieverbrauch der Zelle, dass diese abstirbt. GM-CSF stimuliert außerdem eine systemische Immunantwort gegen die Tumorzellen.
N.N. (Anamorelin, Helsinn): Der dänische Hersteller hat im Oktober die Zulassung für den Ghrelin-Agonisten eingereicht. Die Wirkung beruht auf einem dualen Mechanismus: Einerseits wird der Appetit gesteigert, andererseits wird die Freisetzung von Wachstumshormonen induziert. So soll die Substanz gegen Auszehrung und krankheitsbedingte Magersucht bei Lungenkrebs-Patienten helfen. In klinischen Studien zeigte sich eine signifikante Zunahme von Appetit und Muskelmasse. Anamorelin ist oral verfügbar und soll einmal täglich angewendet werden.
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