NDMA in Metformin: Stichtag für die Rückrufwelle Nadine Tröbitscher, 06.01.2020 08:55 Uhr
Hoher Druck lastet auf den Zulassungsinhabern Metformin-haltiger Arzneimittel und ihren Lieferanten. Weil im Antidiabetikum Spuren von N-Nitrosodimethylamin (NDMA) nachgewiesen wurden, haben die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) und die Koordinierungsgruppe für Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und Dezentralen Verfahren (CMDh) die Firmen aufgefordert, zusammen mit ihren Lieferanten eine entsprechende Risikoanalyse durchzuführen. Das erfordert nicht nur einen hohen logistischen Aufwand, sondern ist kostenintensiv und stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Bis 15. Januar müssen alle auf dem Markt verfügbaren Fertigarzneimittelchargen auf die Verunreinigung getestet und gegebenenfalls vom Markt genommen werden.
Die gute Nachricht vorweg, ein Engpass bei Metformin wird nicht erwartet. Allerdings könnte es eine Verteilung der Marktanteile geben. Denn wer ein Labor zuerst besetzt, hat die besten Karten, weiß auch Bernd Ehlert, der bei Aenova das Lizenzgeschäft verantwortet. Der deutsche Lohnhersteller ist die Nummer 1 in Europa und übernimmt für 14 pharmazeutische Unternehmen (pU) die Produktion fester oraler Darreichungsformen von Metformin.
Die aktive Substanz (API) stammt aus Indien und zum Teil aus Norwegen. Für den europäischen Markt sind mehr als 20 Wirkstoffhersteller mit einem CEP registriert und der API-Großteil stammt aus Asien. Die Verarbeitung übernehmen mehr als 100 (Lohn-)Hersteller, die Fertigarzneimittel für mehr als 500 pU weltweit produzieren.
Aenova kauft die Wirksubstanzen auf dem Weltmarkt oder bekommt diese vom Kunden zur Verfügung gestellt. Auditiert wird selbst oder vom pU. Der Wirkstoff wird entsprechend der Prüfverfahren laut Arzneimittelzulassung oder Europäischem Arzneibuch geprüft. In der Regel findet bei den Wirkstoffen eine Vollanalyse statt. Das ist eine große Herausforderung: „Ich muss wissen, wonach ich suchen muss“, sagt Ehlert. Denn dann braucht es eine geeignete und robuste Methode, die nachvollziehbare Ergebnisse liefert und die es zu validieren gilt.
Die EMA hat nun die Zulassungsinhaber in die Pflicht genommen, alle Produkte mit chemisch synthetischen Wirkstoffen zu überprüfen und deren Risiko auf die potentielle Verunreinigung mit einem Nitrosamin zu bewerten. Das bedeutet, es müssen Wirkstoffe, Hilfsstoffe, Primärpackmittel und Herstellungsprozess betrachtet werden.
Der einzige, der den Syntheseweg und die möglichen Nebenprodukte kennt, ist der Hersteller der API und zusätzlich das EDQM als europäische Zertifizierungsstelle mit dem Einblick in den sogenannten „Closed part“ des Wirkstoffdossiers. Für alle anderen Beteiligten in der Supply Chain ist die Wirkstoffsynthese eher eine Black Box. Doch genau die werden in die Pflicht genommen: „Der Lohnhersteller ist dabei oftmals in einer koordinierenden Rolle für die Bereitstellung von Informationen von Seiten der Lieferanten für Wirkstoffe, Hilfsstoffe und Packmittel, aber auch in der bewertenden Position hinsichtlich des Herstellungsprozesses für das Fertigprodukt“, so Ehlert. „Insbesondere für die Bewertung des Herstellungsprozesses müssen die Lohnherstellungsunternehmen die Voraussetzungen für eine Entstehung einer Verunreinigung beleuchten, das heißt zum Beispiel das Vorhandensein von Stoffen, den Einfluss von pH-Werten und höheren Temperaturen oder Lösungsmitteln.“
Im Fall Metformin besteht Zeitdruck. Denn mit Blick auf die Rückrufe in Singapur und der Schweiz aufgrund von erhöhten NDMA-Werten müssen hierzulande bis zum 15. Januar alle Fertigproduktchargen, die auf dem Markt verfügbar sind, auf eine mögliche Verunreinigung getestet und bei einem zu hohen Gehalt vom Markt genommen werden. „Verantwortlich hierfür ist der Zulassungsinhaber“, gibt Ehlert zu bedenken.
„Getestet werden sowohl Fertigprodukt als auch Wirkstoffcharge, das heißt in kurzer Zeit müssen also vom Lohnhersteller und vom Wirkstofflieferanten extrem viele Proben vorbereitet werden, die von akkreditierten Laboren analysiert werden müssen.“ Und hier zeigt sich die nächste Herausforderung: Es müssen ein Labor und eine geeignete Analysemethode gefunden werden. In Betracht kommen zwei Verfahren – eine Gaschromatographische Massenspektroskopie und eine Liquidchromatographie.
„Für Metformin gibt es derzeit noch keine abgeschlossene Bewertung, welche Analysemethode besser geeignet ist“, so Ehlert. Für Ranitidin hatte sich die US-Arzneimittelbehörde FDA auf die Liquidchromatographie festgelegt. „Wir mussten erst einmal ein Labor finden, das über die nötigen Geräte und Analysenmethoden verfügt. Wir haben ein Labor in Europa gefunden und dessen Kapazität für mehrere Wochen eingekauft. So kann die Menge an Chargen vom API, die für die Produktion benötigt wird, untersucht werden“, so Ehlert.
Als Grenzwert für NDMA wird das für die Sartane festgelegte Maximum herangezogen. Pro Tag sollte demnach eine Menge von 96 ng (entsprechend 96 ppB) nicht überschritten werden. Das bedeutet: Bei der maximalen Dosis von drei Tabletten zu 1000 mg Metformin darf eine Tablette maximal 32 ng NDMA enthalten.
Ab 15. Januar dürfen nur noch Metformin-haltige Arzneimittel auf den Markt gebracht werden, deren API und Endprodukt auf Nitrosamine untersucht wurde. „Es können nur noch Fertigprodukte für den Verkehr freigegeben werden, wenn zum Zeitpunkt der Freigabe die Analyseergebnisse für die Wirkstoffcharge und die Fertigproduktcharge vorliegen sowie die Details zur verwendeten analytischen Methode. Weiterhin wird ein Bericht mit den Ergebnissen der Untersuchungen und einzuleitenden Korrekturmaßnahmen sowie die Vorbereitung von notwendigen Zulassungsänderungen erwartet.“
Für die Analytik fallen zusätzliche Kosten an, diese werden voraussichtlich durch die Herstellungsbetriebe oder die eingeschalteten Labore an die Zulassungsinhaber weitergeben. „Diese jetzt zusätzliche Analytik für den Wirkstoff und für das Fertigprodukt wird später über eine Variation in der Zulassung verankert und fester Bestandteil der jeweiligen Zulassung und der Routine“, weiß Ehlert. Mit den zusätzlichen Kosten steigt der Druck auf die pU. Pro Wirkstoffcharge könnten für die Untersuchung der API zusätzlich etwa 1000 Euro anfallen.
„Die Kosten für die Fertigprodukte beim Metformin sind über die Rabattverträge in Deutschland fixiert, das heißt die bestehende Kalkulation für die Vertreiber wird durch diese zusätzlichen Kosten belastet und der Wettbewerbsdruck weiter verschärft. Ob damit weitere Teilnehmer aus dem Markt ausscheiden, ist kurzfristig wahrscheinlich nicht zu erwarten, aber Marktanteilsverschiebungen durch die Verfügbarkeiten von Laborkapazitäten sind schon vorstellbar.“
Auch hier zeigt sich fehlende Koordination. Denn würden EDQM und API-Hersteller, die den „Closed part“ des CEP-Zertifikats kennen, den Analyseprozess auf mögliche Verunreinigungen prüfen, würde kein verunreinigter Wirkstoff produziert. Stattdessen prüfen nur wenige Labore Metformin-haltige Arzneimittel aller pU deren API von etwa 30 Wirkstoffherstellern stammt. Das ist nicht effizient, denn Labore würden unkoordiniert beauftragt und „eine Verschwendung von Ressourcen“, so Ehlert.
Und der Fall der Nitrosamine ist laut Ehlert erst der Beginn solcher Untersuchungen, denn der Erkenntnisgewinn auf analytischer Seite wird sich weiter beschleunigen und weitere mögliche Verunreinigungen und deren Bestimmung sind zu erwarten.
„Inwieweit die Patientensicherheit durch diese Maßnahmen erhöht wird, wenn gleichzeitig die Aufnahme des Stoffes durch normale Nahrungsmittel wie eingelegtes Gemüse, gesalzener Fisch oder verarbeitete Fleischprodukte eine höhere Zufuhr pro Tag bedeutet, wird sicherlich noch weiter zu diskutieren sein.“