Nach 2 Fällen: Debatte um Diphtherie-Impfpflicht Laura Schulz, 18.10.2024 14:58 Uhr
Nach zwei Nachweisen von Diphtherie in der Region Berlin-Brandenburg wird über die Schutzimpfung gegen die lebensgefährliche Infektionskrankheit diskutiert. Die Sechsfach-Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Hib und Hepatitis B gehört zu den Standardimpfungen für Babys. Zum Zeitpunkt der Schuleingangsuntersuchung hätten 92 Prozent der Kinder alle empfohlenen Diphtherie-Impfungen erhalten, erklärte das Robert Koch-Institut (RKI).
„Die Durchimpfungsrate ist sehr gut“, sagte Professor Dr. Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Deswegen sei die Gefahr, dass es nach einem Fall einen Ausbruch gebe, in Deutschland nicht so hoch. Allerdings könne so ein Ausbruch dann passieren, wenn es eine empfängliche Gruppe gebe, also zum Beispiel eine Schulklasse mit vielen ungeimpften Kindern.
Fachmann: Keine erhöhte Bedrohungslage
Tenenbaum hält eine Impfpflicht gegen Diphtherie nicht für zielführend. „Das wäre nur dann sinnvoll, wenn wir eine erhöhte Bedrohungslage hätten.“ Diese gebe es aber wegen der hohen Impfquoten nicht – die Krankheit tauche kaum auf.
Laut RKI gab es in den vergangenen Jahren stets eine ein- oder zweistellige Zahl an Infizierten, nur 2022 und 2023 war die Zahl dreistellig, was auch an einem internationalen Ausbruch unter Geflüchteten lag. Professor Dr. Andreas Sing, Leiter des Konsiliarlabors für Diphtherie am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ergänzte, dass die Fälle auch gestiegen sind, weil die Überwachung und die Diagnostik besser geworden sind. Auch er hält eine Impfpflicht für nicht sinnvoll.
Bei Masern hingegen müsse man sich mehr Sorgen machen, sagte Tenenbaum, der auch Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Sana-Klinikum in Berlin-Lichtenberg ist. Gegen Masern sind deutlich weniger Kinder vollständig geimpft, auch deswegen verbreiteten sich Ausbrüche schneller. Seit 2020 ist es in Kitas und Schulen vor der Neuaufnahme Pflicht, eine Masernimpfung vorzuweisen.
Preis weist auf kommende Apothekenleistung hin
„Die Bundesregierung plant, dass schon im nächsten Jahr Diphtherie-Impfungen für Erwachsene auch durch Apotheken durchgeführt werden“, so Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR), der „Rheinischen Post“. Er appellierte, sich gemäß der Empfehlungen impfen zu lassen: „Diphtherie-Infektionen haben schwerste Verläufe und enden oft tödlich.“
Deshalb sei die Impfung zum eigenen Schutz und zum Schutz anderer wichtig: „Die Impfquoten für Diphtherie liegen bei Kindern in Deutschland bei über 95 Prozent. Leider denken aber nur etwa die Hälfte der Erwachsenen an die alle zehn Jahre notwendige Auffrischimpfung gegen Diphtherie“, sagte Preis.
Zehnjähriger mit schweren Symptomen
Vor wenigen Tagen war bekanntgeworden, dass ein zehn Jahre alter ungeimpfter Junge an Diphterie erkrankt ist, wie das Brandenburger Gesundheitsministerium mitteilte. Der Junge musste intensivmedizinisch behandelt und beatmet werden. Auch ein Mensch aus dem familiären Umkreis des Kindes wurde zunächst positiv getestet, erkrankte aber nur leicht.
Nach Bekanntwerden der Fälle sprach sich das Gesundheitsministerium für einen besseren Impfschutz aus. „Nur durch gute Impfquoten lässt sich verhindern, dass sich die Diphtherie verbreitet“, erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. Es sei auch für Erwachsene wichtig, auf einen Impfschutz zu achten. „Wir rufen deshalb dazu auf, die von der Ständigen Impfkommission (...) empfohlenen Schutzimpfungen in Anspruch zu nehmen.“
Die Impfung bietet laut RKI einen zuverlässigen Schutz gegen die Symptome der Diphtherie, nicht aber vor der Infektion mit dem Erreger. Die Ständige Impfkommission (Stiko) rät allen zu einer Diphtherieimpfung. Normalerweise erhalten Säuglinge zur Grundimmunisierung drei Dosen im Alter von zwei, vier und elf Monaten. Eine erste Auffrischungsimpfung empfiehlt die Stiko bei fünf- bis sechsjährigen Kindern, eine zweite im Alter von neun bis 17 Jahren. Erwachsene sollten den Impfschutz alle zehn Jahre auffrischen lassen.
„Um sich anzustecken, braucht man einen engen, häuslichen Kontakt. Diphtherie ist nicht so ansteckend wie Masern oder Corona“, ergänzte Sing. Die Sterblichkeit bei Diphterie liege in Deutschland etwa bei fünf Prozent.
Schule des Kindes stellte Klassenkameraden frei
Durch eine Kontaktnachverfolgung durch das Gesundheitsamt im Havelland wurde wenig später die Krankheit bei einem weiteren Menschen aus dem familiären Umkreis des erkrankten Kindes festgestellt. Aufgrund eines Impfschutzes habe die Person allerdings nur einen leichten Erkrankungsverlauf und sei bereits wieder negativ getestet worden, erklärte eine Sprecherin des Landkreises.
Der betroffene Junge geht auf eine Berliner Waldorf-Schule, lebt aber im brandenburgischen Havelland. „Die Information über den Befund haben wir am 28. September erhalten, waren dann mit dem Gesundheitsamt in Verbindung, das empfahl, die engeren Kontakte des Kindes auf Diphtherie testen zu lassen“, sagte der Geschäftsführer der betroffenen Waldorfschule Havelhöhe in Berlin, Merten Bangemann-Johnson.
Neben anderen Maßnahmen wurden die Kinder der Klassenstufe des betroffenen 10-Jährigen für mehrere Tage vom Unterricht befreit. Aktuell bestehe laut Bangemann-Johnson keine erhöhte Diphtherie-Gefahr an der Schule. „Wir haben keinen anderen Gefährdungsstatus als andere Schulen.“