Aspirin: Mythen aufgeklärt Nadine Tröbitscher, 06.05.2017 09:10 Uhr
Acetylsalicylsäure (ASS) verursacht gastrointestinale Nebenwirkungen. Wahrheit oder Mythos? Aspirin ist Ibuprofen und Paracetamol unterlegen. Richtig oder falsch? Spielen diese Mythen eine Rolle in Ihrer Empfehlung? Der Aspirin-Hersteller Bayer will mit den alten Mythen aufräumen. Dr. Uwe Gessner, bei Bayer Senior Manager Scientific Affairs Analgesics, versucht eine Aufklärung aus der Sicht des Herstellers.
Mythos 1: Andere Analgetika sind schneller.
Diese Aussage gehört zu den Irrtümern rund um Aspirin. Vergleicht man die Informationen zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (Tmax) in den Fachinformationen von z.B. Paracetamol-ratiopharm 500 mg, Ibu-Lysin-ratiopharm 684 mg oder Dolormin extra und Aspirin 500 mg überzogene Tablette, wird man überrascht. Das vermeintlich langsamste Produkt ist das schnellste – in etwa 17,5 Minuten ist Tmax erreicht. Gefolgt von Paracetamol 500 mg mit 25 Minuten sowie Ibu-Lysin-Ratiopharm mit etwa 41 Minuten. Ibuprofen in Dolormin extra erreicht nach etwa 45 Minuten die maximale Wirkstoffkonzentration im Blut.
Auch das Ergebnis unter den einzelnen Darreichungsformen von Bayer hat ein breites Spektrum. Am schnellsten werden die maximalen ASS-Plasmakonzentrationen bei Aspirin Plus C erreicht, nämlich bereits nach 15 Minuten, gefolgt von Aspirin Plus C forte mit etwa 17 Minuten, der Aspirin-Tablette und der Migräne-Brausetablette mit etwa je 17,5 Minuten. Dahinter reihen sich Aspirin Direkt (22 Minuten), Aspirin Effect (25 Minuten) und das Nischenprodukt Aspirin mit Coffein mit 45 Minuten ein.
Als Grund für das schnelle Anfluten des Wirkstoffes aus der Aspirin Tablette nennt Gessner die neue Galenik. Vor mehr als zwei Jahren wurde die klassische Asprin Tablette durch die neue Formulierung ersetzt. Das Besondere an dieser Formulierung ist die sog. Micro-Aktiv-Technologie: hierbei sind die Wirkstoff-Kristalle um 90 Prozent verkleinert und, Natriumcarbonat ist als Zerfallsbeschleuniger zugesetzt. Dies führt zu einer beschleunigten Dissolution, einer raschen Resorption des Wirkstoffs und in Folge zu einem schnellen Wirkeintritt.
Mythos 2: Aspirin verursacht oft schwere gastrointestinale Nebenwirkungen.
Bezogen ist die Aussage auf die Selbstmedikation. „Oft (oder häufig) – ist falsch, das würde bedeuten, dass 1 bis 10 Prozent eine schwere gastrointestinale Nebenwirkung, z. B. ein Ulkus erfahren“, so Gessner. „In der Fachinformation finden Sie die Angabe 'selten bis sehr selten' was bedeutet es sindbis zu 1 von1000 bis 1 von 10.000 Behandelten betroffen. Bei Ibuprofen hingegen sind diese Nebenwirkungen mit 'gelegentlich' (bis zu 1 von 100 Behandelten) ausgewiesen.“ Eine große Metaanalyse bestätigt die gute Verträglichkeit, so Gessner.
Verglichen wurde das Auftreten von gastrointestinalen Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo, Ibuprofen und Paracetamol. Im Ergebnis traten keine signifikanten Unterschiede auf: Aspirin etwa 10 Prozent gegenüber Placebo etwa 9 Prozent. Aspirin 10,4 Prozent gegenüber Paracetamol 10,1 Prozent. Aspirin 3,5 Prozent gegenüber Ibuprofen 2,3 Prozent. Das bedeutet: Im Falle einer Kurzzeitanwendung sind die drei Wirkstoffe bezüglich Nebenwirkungen gleichauf.
Aber woher stammt der Mythos? Gessner führt ihn auf die Zeit zurück, als Aspirin das einzige Arzneimittel gegen rheumatische Schmerzen und andere nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) noch nicht auf dem Markt waren. Die Patienten schluckten Tagesdosen von 4 bis 8 Gramm und das teilweise über Wochen. Für Gessner ist klar: Bei diesen hohen Dosierungen sind durch die Hemmung des magenschützenden körpereigenen Prostaglandin E2 bei allen NSAR Verträglichkeitsprobleme zu erwarten. Heute ist die Behandlung auf drei bis vier Tage begrenzt und Patienten nehmen maximal 3 g des Wirkstoffes über den Tag verteilt ein.
Mythos 3: Andere Schmerzmittel sind überlegen.
Wie es zu dieser Ansicht kommt, kann Gessner sich nicht erklären. Studien zur Wirksamkeit gegen Kopfschmerzen, Fieber oder Halsschmerzen liegen vor. Apotheker sollten anhand der entsprechenden W-Fragen den passenden Wirkstoff für jeden Patienten ermitteln. Vor allem die Begleiterkrankungen müssen in der Empfehlung berücksichtigt werden. Eine aktuelle dänische Studie schreibt Ibuprofen ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko zu. Bereits bei kurzfristiger Einnahme könne das Schlaganfall- oder Herzinfarktrisiko steigen.
Patienten mit einem kardiovaskulärem Risiko sollten laut Gessner auf Aspirin oder Paracetamol zurückgreifen. Bestehe ein Risiko für Leberschäden, seien Aspirin und Ibuprofen geeignet, Paracetamol hingegen nicht. Patienten mit schweren Leber- und Nierenschäden sollten alle drei Wirkstoffe meiden. Im Falle einer erhöhten Blutungsneigung können die Patienten auf Ibuprofen und Paracetamol zurückgreifen. Wer mit ASS 100 oder 300 behandelt wird, kann bei Schmerzen wahlweise Paracetamol oder auch Aspirin einsetzen, wegen der Wechselwirkungen aber nicht Ibuprofen. Der Einsatz ist nicht nur von den Grunderkrankungen, sondern auch vom jeweiligen Schmerzprofil abhängig.
Aspirin zählt zu den am besten erforschten Wirkstoffen und ist seit 1899 als Marke erhältlich. Insgesamt wurden bislang 67 klinische Verträglichkeitsstudien von Lanas mit über 13.000 Teilnehmern durchgeführt. Darunter nicht alle zu Aspirin.