Frauen mit Multipler Sklerose (MS) stehen häufig vor der Frage, wie sich ihre Erkrankung und die dazugehörige Therapie auf eine mögliche Schwangerschaft auswirken. Dieser Frage ist ein Forschungsteam unter der Leitung von Professor Dr. Kerstin Hellwig von der Ruhr-Universität Bochum nachgegangen und hat eine der weltweit größten Studien zu diesem Thema durchgeführt.
Die Forschenden analysierten über 3700 Schwangerschaften von Frauen mit MS, von denen mehr als 2800 vor oder während der Schwangerschaft mit immunmodulierenden Medikamenten behandelt wurden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „The Lancet Regional Health Europe“ veröffentlicht. Sie zeigen, dass die meisten MS-Therapien nicht mit einem erhöhten Risiko für Spontanaborte, Frühgeburten oder Fehlbildungen verbunden sind. „Die meisten Therapien erwiesen sich als sicher, was eine wichtige Entlastung für betroffene Frauen darstellt“, so Hellwig.
Trotz der insgesamt positiven Bilanz der Studie gab es bei den eingesetzten MS-Arzneimitteln Unterschiede, insbesondere hinsichtlich des erhöhten Risikos für ein geringes Geburtsgewicht. Zu diesen Medikamenten gehören S1P-Modulatoren wie Fingolimod, die Immunzellen daran hindern, ins zentrale Nervensystem zu gelangen, sowie Anti-CD20-Antikörper wie Rituximab, die auf bestimmte Immunzellen abzielen, die Entzündungen bei MS verursachen. Während in Deutschland etwa 10 Prozent der Neugeborenen ein unterdurchschnittliches Geburtsgewicht aufweisen, waren es in der MS-Kohorte 18,8 Prozent.
Bei Kindern, deren Mütter S1P-Modulatoren oder Anti-CD20-Antikörper einnahmen, stieg dieser Anteil auf 27,4 beziehungsweise 24,1 Prozent. „Ein geringeres Geburtsgewicht kann langfristige gesundheitliche Risiken wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes begünstigen“, betont Hellwig.
Schwere Infektionen während der Schwangerschaft waren insgesamt selten, kamen aber bei bestimmten Therapien wie Dimethylfumarat oder Alemtuzumab signifikant häufiger vor. Dabei zeigte sich, dass Frauen, die noch im zweiten oder dritten Trimester Natalizumab erhielten, häufiger Antibiotika benötigten als andere Patientinnen. „Das zeigt, wie wichtig es ist, die medikamentöse Therapie individuell zu planen und während der Schwangerschaft engmaschig ärztlich zu begleiten“, erklärt Hellwig.
Damit beweist die Studie nicht nur, dass ein Großteil der MS-Therapien keine signifikanten Risiken für die Schwangerschaft birgt. Die Ergebnisse unterstreichen darüber hinaus die Bedeutung einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung bei der Planung einer Schwangerschaft mit MS. Hellwig weist darauf hin, dass weitere Auswertungen geplant sind, um die langfristigen Auswirkungen, etwa auf das Wachstum der Kinder, zu untersuchen. „Frauen mit MS sollten sich bewusst sein, dass eine Schwangerschaft mit der richtigen medizinischen Unterstützung sicher möglich ist.“