Teva erfindet Copaxone neu Patrick Hollstein, 29.12.2015 11:29 Uhr
Ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art gab es vor wenigen Wochen für die Aktionäre von Teva. Das Europäische Patentamt (EPA) bestätigte überraschend den Patentschutz für das MS-Mittel Copaxone (Glatirameracetat) in der neuen Dosierung à 40 mg/ml. Kann der Generikakonzern die Ärzte überzeugen, ihre Patienten auf die neue Variante umzustellen, ist der Blockbuster in zweiter Generation bis 2030 vor generischer Konkurrenz geschützt.
Im Mai 2014 war zunächst in den USA das Patent für Copaxone abgelaufen. Das von Teva selbst entwickelte MS-Medikament war 1996 auf den Markt gekommen und ist bis heute der wichtigste Umsatzbringer des Generikakonzerns: Mit 4,2 Milliarden US-Dollar machte das Original im vergangenen Jahr 21 Prozent der weltweiten Erlöse aus; in den USA liegt der Anteil sogar bei 29 Prozent. Auf der Ertragsseite spielt das Produkt für den Konzern eine noch bedeutendere Rolle.
Um seinen Blockbuster zu retten, hatte Teva schon im Januar 2014 in den USA das hauseigene Nachfolgeprodukt eingeführt. Das neue Copaxone enthält mit 40 mg/ml doppelt soviel Wirkstoff wie das ursprüngliche Produkte und muss nur noch dreimal pro Woche statt täglich subcutan gespritzt werden. Laut Teva werden 60 Prozent der Injektionen eingespart; injektionsbedingte Nebenwirkungen werden um 50 Prozent reduziert.
Die US-Ärzte konnte der Konzern von den Vorteilen überzeugen: 76 Prozent aller Verordnungen entfallen mittlerweile auf die neue Generation. Obwohl Sandoz mit Glatopa seit Juni ein Generikum zum ursprünglichen Produkt auf dem Markt hat, konnten dank des Generationswechsels bei Teva Umsatzeinbrüche verhindert und die Erlöse auf Vorjahresniveau stabilisiert werden.
Mylan, Actavis und Synthon sahen in dem Nachfolgeprodukt keine Innovation und legten unter anderem beim EPA Einspruch gegen die Patentanmeldung aus dem Jahr 2011 ein. Anfang Dezember sprachen die europäischen Prüfer dem neuen Anwendungsregime einen Erfindungscharakter zu; bis 2030 ist das Produkt damit patentgeschützt. Gegen die Entscheidung kann zwar Berufung eingelegt werden, bei Teva rechnet man aber nicht damit, dass es vor 2017 zu einer Anhörung kommt. Mit Spannung wird nun erwartet, wie sich das US-Patentamt positioniert.
Von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hatte Teva im vergangenen Dezember die Zulassung erhalten; in Deutschland hat der Konzern das neue Copaxone im April eingeführt. Mit knapp 1250 Euro für die Monatspackung ist das neue Produkt sogar etwas günstiger als das 2001 eingeführte Original, das knapp 1600 Euro kostet.
Noch gibt es hierzulande keine Generika zur ursprünglichen Variante, doch wenn es soweit ist, könnten diese auch dem Nachfolgeprodukt gefährlich werden. In einer Studie mit 1400 Patienten konnte zwar gezeigt werden, dass das neue Regime die Schübe über einen Zeitraum von zwölf Monaten gegenüber Placebo deutlich reduziert. Dass das neue Copaxone besser als oder genauso gut wie das alte wirkt, wurde in der Studie aber nicht gezeigt. Nur eine kleinere Studie mit 230 Teilnehmern aus dem Jahr 2007 hatte Hinweise auf eine bessere Wirksamkeit gegeben.
Glatirameractetat ist ein synthetisches Polypeptidgemisch, dessen Bestandteile Ähnlichkeiten mit den Strukturen der Myelinscheiden aufweisen. Der Wirkmechanismus ist ungeklärt, vermutet wird ein positiver Einfluss auf die durch Lymphozyten vermittelten Entzündungsreaktionen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gibt es keine Dosiswirkungsbeziehung.
Laut Arzneiverordnungsreport wurde Copaxone 2014 rund 130.000 Mal zu Lasten der Krankenkassen verordnet, entsprechend 5,5 Millionen Tagestherapiedosen (DDD). Mit Nettokosten von 268 Millionen Euro liegt Copaxone auf Rang 7.
Konkurrenzprodukte sind Interferone wie Avonex, Rebif, Betaferon und Extavia mit insgesamt 12,3 Millionen DDD sowie weitere Immunmodulatoren wie Tecfidera (Dimethylfumarat, 3,3 Millionen DDD), Tysabri (Natalizumab, 1,9 Millionen DDD) und Aubagio (Teriflunomid, 1,2 Millionen DDD). Auf den Sphingosin-1P-Agonisten Gilenya (Fingolimod) entfallen 3 Millionen DDD.
Gilenya und Aubagio sind derzeit die einzigen oralen MS-Therapien; Merck nimmt gerade einen neuen Anlauf für seine MS-Tablette Movectro (Cladribin). Nachdem der Darmstädter Konzern 2011 eine Abfuhr von FDA und EMA erhalten hatte, sollen nun neue Daten die Zulassungsbehörden in den USA und Europa überzeugen.
Auch Teva war mit einer oralen MS-Therapie gescheitert: Anfang 2014 lehnte die EMA die Zulassung für Nerventra (Laquinimod) ab – weil Risiken, die im Tierversuch beobachtet wurden, in den klinischen Studien nicht widerlegt werden konnten: In Versuchen mit Ratten waren karzinogene und teratogene Effekte beobachtet worden, die laut Teva aber in den klinischen Studien mit Untersuchungszeiträumen von bis zu sieben Jahren nicht auftraten. Die EMA sah die Bedenken dagegen nicht ausgeräumt, zumal beide Effekte erst mit Zeitverzögerung nachweisbar seien.
Auch an der klinischen Wirksamkeit der einmal täglich einzunehmenden Kapseln hatten die Prüfer Zweifel: Zwar werde die Progression der Erkrankung verzögert; der Effekt auf die Schübe sei aber gering. Teva sah den Nutzen bei Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) nach zwei großen Studien mit rund 2500 Probanden als belegt an.
Wie das Präparat im Detail wirkt, ist nicht bekannt, vermutet werden immunmodulatorische Effekte. In Studien wurden entzündungshemmende und neuroprotektive Eigenschaften nachgewiesen. Häufigste Nebenwirkungen waren Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, Blinddarmentzündung sowie Veränderungen der Blut- und Leberwerte.
Teva verlor mit der Absage der EMA wichtige Zeit bei der Auf- und Ausbau seiner Specialty-Sparte. Der Generikakonzern hatte seine Originalpräparate, darunter die ehemaligen Cephalon-Präparate Effentora (Fentanyl), Vigil (Modafinil) und Azilect (Rasagilin) sowie das AWD-Schmerzmittel Katadolon S long (Flupirtin) in das neu gegründete Unternehmen Teva Specialty Medicines mit Sitz in Berlin eingebracht.
Laut Deutschlandchef Dr. Markus Leyck Dieken wird die Teva-Originalsparte Ende kommenden Jahres zwei neue Produkte eingeführt haben. Auch das neue Biotech-Zentrum in Ulm soll zügig aufgebaut werden. Insgesamt soll ein höherer dreistelliger Millionenbetrag investiert werden – die größte Einzelinvestition in einen Standort. 300 neue Arbeitsplätze sind geplant; der Bau soll in der zweiten Jahreshälfte 2016 beginnen.
Schon kurz nach dem Antritt von Leyck Dieken und dem Umzug der Originalia-Sparte nach Berlin hatte Dr. Rob Koremans, bei Teva verantwortlich für die weltweiten Specialty-Aktivitäten, im Sommer 2013 dafür geworben, als Hersteller aktiv an Versorgungsprogrammen mitzuwirken: „Kassen, Ärzte und Pharmahersteller können die Compliance am besten gemeinsam verbessern.“