Mylan bringt Copaxone-Generikum Patrick Hollstein, 01.09.2016 07:59 Uhr
Es ist so weit: Copaxone, das umsatzstärkste Präparat von Teva, bekommt Konkurrenz. Mylan bringt mit Clift ein Generikum des Mittels gegen Multiple Sklerose (MS) mit dem Wirkstoff Glatirameracetat auf den Markt, das deutlich preiswerter ist als das Original. Der Ratiopharm-Mutterkonzern hat bereits vorgesorgt.
Copaxone war von Teva selbst entwickelt worden und unterstreicht den Anspruch des Konzerns, mehr zu sein als ein reiner Generikaanbieter. 1996 auf den Markt gebracht, ist das MS-Mittel bis heute der wichtigste Umsatzbringer: Mit 4 Milliarden US-Dollar machte das Original im vergangenen Jahr ein Fünftel der weltweiten Erlöse von Teva aus. Auf der Ertragsseite spielt das Produkt eine noch bedeutendere Rolle.
Im Mai 2014 war zunächst in den USA das Patent für Copaxone abgelaufen, ein Jahr später fiel der Schutz in zahlreichen weiteren Ländern. Nachdem Teva mit der Übernahme von Mylan gescheitert ist, bringt der Konkurrent jetzt mit Clift das erste Generikum zu Copaxone in die deutschen Apotheken. Der Konzern hatte sich bereits 2008 mit dem indischen Hersteller Natco zusammengetan, um ein entsprechendes Konkurrenzprodukt auf den Markt bringen zu können.
Clift ist in den Packungsgrößen 30 und 90 Stück erhältlich und mit einem Apothekenverkaufspreis (AVP) von 1288 beziehungsweise 3772 Euro rund 18 Prozent günstiger als das Original. Ohne Rabattverträge wird es Mylan trotzdem schwer haben.
Denn um seinen Blockbuster zu retten, hat Teva im April 2015 ein Nachfolgeprodukt eingeführt. Das neue Copaxone enthält mit 40 mg/ml doppelt soviel Wirkstoff wie das ursprüngliche Produkte und muss nur noch dreimal pro Woche statt täglich subcutan gespritzt werden. Mit knapp 1250 Euro für die Monatspackung ist das neue Produkt sogar noch etwas preiswerter als das Mylan-Generikum.
In den USA ist die Strategie bislang aufgegangen: Obwohl Sandoz mit Glatopa seit Juni 2015 ein Generikum zum ursprünglichen Produkt auf dem Markt hat, konnten dank des Generationswechsels bei Teva Umsatzeinbrüche verhindert und die Erlöse auf Vorjahresniveau stabilisiert werden. Zweieinhalb Jahre nach der Markteinführung im Januar 2014 entfallen mehr als drei von vier Copaxone-Verordnungen auf die neue Generation.
Ein Weihnachtsgeschenk der besonderen Art gab es Ende vergangenen Jahres für den Konzern. Das Europäische Patentamt (EPA) bestätigte den Patentschutz für die neue Dosierung, die damit bis 2030 geschützt ist. Mylan, Actavis und Synthon hatten in dem Nachfolgeprodukt keine Innovation gesehen und Einspruch gegen die Patentanmeldung aus dem Jahr 2011 eingelegt. Gegen die Entscheidung kann zwar Berufung eingelegt werden, bei Teva rechnet man aber nicht damit, dass es vor 2017 zu einer Anhörung kommt. In den USA hatte Mylan vor kurzem zwei von vier Patenten des neuen Copaxone zu Fall gebracht; der Konzern hofft, das Generikum in der höheren Dosierung bald auf den Markt bringen zu können.
Laut Teva werden 60 Prozent der Injektionen eingespart; injektionsbedingte Nebenwirkungen werden um 50 Prozent reduziert. In einer Studie mit 1400 Patienten konnte gezeigt werden, dass das neue Regime die Schübe über einen Zeitraum von zwölf Monaten gegenüber Placebo deutlich reduziert. Dass das neue Copaxone besser als oder genauso gut wie das alte wirkt, wurde in der Studie aber nicht gezeigt. Nur eine kleinere Studie mit 230 Teilnehmern aus dem Jahr 2007 hatte Hinweise auf eine bessere Wirksamkeit gegeben.
Glatirameractetat ist ein synthetisches Polypeptidgemisch, dessen Bestandteile Ähnlichkeiten mit den Strukturen der Myelinscheiden aufweisen. Der Wirkmechanismus ist ungeklärt, vermutet wird ein positiver Einfluss auf die durch Lymphozyten vermittelten Entzündungsreaktionen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gibt es keine Dosiswirkungsbeziehung.
Laut Arzneiverordnungsreport wurde Copaxone 2014 rund 130.000 Mal zu Lasten der Krankenkassen verordnet, entsprechend 5,5 Millionen Tagestherapiedosen (DDD). Mit Nettokosten von 268 Millionen Euro liegt Copaxone auf Rang 7.
Konkurrenzprodukte sind Interferone wie Avonex, Rebif, Betaferon und Extavia mit insgesamt 12,3 Millionen DDD sowie weitere Immunmodulatoren wie Tecfidera (Dimethylfumarat, 3,3 Millionen DDD), Tysabri (Natalizumab, 1,9 Millionen DDD) und Aubagio (Teriflunomid, 1,2 Millionen DDD). Auf den Sphingosin-1P-Agonisten Gilenya (Fingolimod) entfallen 3 Millionen DDD.
Gilenya und Aubagio sind derzeit die einzigen oralen MS-Therapien; Merck nimmt gerade einen neuen Anlauf für seine MS-Tablette Movectro (Cladribin).Nachdem der Darmstädter Konzern 2011 eine Abfuhr von FDA und EMA erhalten hatte, sollen nun neue Daten die Zulassungsbehörden in den USA und Europa überzeugen.
Auch Teva war mit einer oralen MS-Therapie gescheitert: Anfang 2014 lehnte die EMA die Zulassung für Nerventra (Laquinimod) ab – weil Risiken, die im Tierversuch beobachtet wurden, in den klinischen Studien nicht widerlegt werden konnten: In Versuchen mit Ratten waren karzinogene und teratogene Effekte beobachtet worden, die laut Teva aber in den klinischen Studien mit Untersuchungszeiträumen von bis zu sieben Jahren nicht auftraten. Die EMA sah die Bedenken dagegen nicht ausgeräumt, zumal beide Effekte erst mit Zeitverzögerung nachweisbar seien.
Auch an der klinischen Wirksamkeit der einmal täglich einzunehmenden Kapseln hatten die Prüfer Zweifel: Zwar werde die Progression der Erkrankung verzögert; der Effekt auf die Schübe sei aber gering. Teva sah den Nutzen bei Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) nach zwei großen Studien mit rund 2500 Probanden als belegt an.
Wie das Präparat im Detail wirkt, ist nicht bekannt, vermutet werden immunmodulatorische Effekte. In Studien wurden entzündungshemmende und neuroprotektive Eigenschaften nachgewiesen. Häufigste Nebenwirkungen waren Kopf-, Bauch- und Rückenschmerzen, Blinddarmentzündung sowie Veränderungen der Blut- und Leberwerte.
Teva verlor mit der Absage der EMA wichtige Zeit bei der Auf- und Ausbau seiner Specialty-Sparte. Der Generikakonzern hatte seine Originalpräparate, darunter die ehemaligen Cephalon-Präparate Effentora (Fentanyl), Vigil (Modafinil) und Azilect (Rasagilin) sowie das AWD-Schmerzmittel Katadolon S long (Flupirtin) in das neu gegründete Unternehmen Teva Specialty Medicines mit Sitz in Berlin eingebracht.
Teva verfolgt seit einigen Jahren die Strategie, sich bei generischen Wirkstoffen mit innovativen Darreichungsformen von der Konkurrenz abzusetzen. Den Anfang machte vor zwei Jahren das Generikum zu Symbicort (Budesonid/Formoterol): DuoResp und BiResp kommen im patentgeschützten Spiromax-Inhalationssystem daher. Anfang August kam mit Braltus (Ipratropiumbromid) ein Spiriva-Generikum mit Zonda-Inhaler auf den Markt.