Schmerzen durch Schmerzmittel

Mit jeder Tablette wird es schlimmer

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Berlin -

Wer sehr häufig Schmerz- oder Migränemittel einnimmt, kann dadurch noch mehr Kopfschmerzen bekommen. „Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln“ gilt als eigenständige, sekundäre Erkrankung. Trotz guter Präventionsmaßnahmen und Behandlungsmöglichkeiten ist das Bewusstsein der Problematik bei Patient:innen, Ärzt:innen und Apotheker:innen häufig noch unzureichend. Die Belastung für Betroffene hingegen ist groß.

Menschen, die wegen einer primären Kopfschmerzerkrankung, wie Spannungskopfschmerzen oder Migräne, regelmäßig Schmerz- oder Migränemittel zu sich nehmen, können durch die häufige Einnahme erst recht Schmerzattacken hervorrufen. Das klingt paradox. Doch dies ist kein Phänomen, sondern eine anerkannte Krankheit: Kopfschmerzen durch Medikamenten-Übergebrauch (Medication Overuse Headache, MOH). Es handelt sich um eine sekundäre Kopfschmerzerkrankung. Wie es dazu kommt, ist bislang nicht vollständig geklärt.

Diskutiert werden als Ursache:

  • gestörte Schmerzverarbeitung
  • zentrale Sensibilisierung (Schmerzgedächnis)
  • psychologische Faktoren
  • Verhaltensfaktoren
  • genetische Faktoren

Möglicherweise stellt sich das Nervensystem auf die Medikamenteneinnahme ein und reagiert folglich empfindlicher auf Schmerzreize und -auslöser. Ein Reiz, den das Gehirn normalerweise nicht als Schmerz registriert hätte, wird nun als schmerzhaft wahrgenommen. Letztendlich ist aber nicht geklärt, ob die häufige Einnahme von Schmerz-und Migränemitteln zu den rezidivierenden oder gar chronischen Kopfschmerzen führt oder ob es daran liegt, dass sich die Kopfschmerzen an sich verschlimmern und die Patient:innen deshalb vermehrt zu den entsprechenden Arzneimitteln greifen.

Diagnostik

MOH wird mit substanziellen Beeinträchtigungen und einer Reduktion der Lebensqualität assoziiert. Die Diagnose wird dennoch nicht häufig gestellt. Die Begründung hierfür könnte sein, dass die Problematik den Kopfschmerzgeplagten, aber auch vielen Ärztinnen und Ärzten nicht ausreichend bekannt ist. Weltweit sind durchschnittlich 3,4 Prozent der Erwachsenen betroffen. Zur Diagnose ist es essentiell, den Zusammenhang zwischen der zu häufigen Einnahme von akuter Kopfschmerzmedikation und Chronifizierung der Kopfschmerzen aufzuklären. Hierzu werden neurologische Untersuchungen vorgenommen. Weiterhin wird Betroffenen von primären Kopfschmerzerkrankungen angeraten, einen Kopfschmerzkalender zu führen, um auch bei vermeintlich guter Einstellung einer Prophylaxe, regelmäßig die Häufigkeit notwendiger Akutmedikationen einschätzen zu können. Treten über einen Zeitraum von drei Monaten an mindestens 15 Tagen pro Monat dumpfe Kopfschmerzen auf, die den gesamten Kopf betreffen und mit Schmerzmitteln behandelt werden, sprechen Ärzt:innen von MOH. Bei Migränemitteln wie Triptanen und Ergotaminen gelten schon zehn Einnahmetage pro Monat als zu häufig. Dann sollte über eine Optimierung der Prophylaxe nachgedacht werden.

Risiken

Frauen erkranken häufiger an MOH, als Männer. Auffällig ist außerdem, dass es öfter zu MOH unter Einnahme von Triptanen kommt, als unter Nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), wie Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen. Als besonders problematisch aufgrund ihres zusätzlichen Abhängigkeitspotenzials gelten opiathaltige Schmerzmittel. Weitere Faktoren, die die sekundäre Kopfschmerzerkrankung begünstigen können sein:

  • einfaches Bildungsniveau
  • geringer sozialer Status
  • psychiatrische Erkrankungen
  • Abhängigkeiten, z.B. Rauchen, Medikamenteneinnahme, wie Schlaf- oder Beruhigungsmittel

Behandlung

Eine angemessene Behandlung kann die Kopfschmerz- bzw. Krankheitslast und den Schmerzmittelverbrauch durchaus reduzieren. Die Erfolgsrate einer Leitlinien-gerechten Therapie beträgt nach 6-12 Monaten etwa 50-70%.

Wichtig ist in erster Linie, der Patientin oder dem Patienten nicht die Schuld an der Erkrankung zu geben oder einen Mißbrauch zu unterstellen, denn meist liegt das Problem in einem unzureichenden Kopfschmerz- oder Migräne-Management. An das Vorliegen einer möglichen sekundären Kopfschmerzerkrankung sollte bei häufigem NSAR-Käufen im Beratungsgespräch immer gedacht und die Problematik aktiv angesprochen werden.

Das beschriebene Tagebuch kann ein erster Schritt aus dem Teufelskreis sein. Es dient nicht nur dazu, schriftlich festzuhalten, wie oft man von Kopfschmerzen geplagt wird, sondern auch, wie häufig man tatsächlich Medikamente nimmt. Außerdem lässt sich darstellen, zu welchen Tageszeiten oder in welchen Situationen die Schmerzen auftreten. Haben sich die „bekannten“ Kopfschmerzen verändert, lässt sich nachverfolgen, ob ein übermäßiger Gebrauch von Schmerzmitteln die Ursache sein könnte.

Schmerzmittelpause

Die Behandlung des MOH besteht in der Reduktion der Einnahmehäufigkeit der übergebrauchten akuten Schmerzmittel beziehungsweise im ersten Schritt mit dem kompletten Absetzen der Schmerzmedikation.

Zu Beginn einer Schmerzmittelpause kann es zu einer sogenannten Erstverschlimmerung, begleitet von Übelkeit, Unruhe und Schlafstörungen kommen. Der Zeitpunkt der Abstinenz sollte daher gut gewählt sein und nicht auf Wochen fallen, an denen die Patientin oder der Patient stark belastet ist. Eine Abhilfe gegen aufkommende Kopfschmerzen kann zunächst Pfefferminzöl sein, dass man auf die Schläfen oder die Stirn tupfen kann.

Eine Medikamentenpause ist aber auch tagesklinisch oder stationär möglich, erst recht dann, wenn man schon mehrfach erfolglos versucht hat, mit weniger Schmerzmitteln zurechtzukommen. Hier wird zusätzlich zur Abstinenz mitunter auch eine Verhaltenstherapie unternommen. Gleichzeitig kann mit einer geeigneten Kopfschmerz-Prävention begonnen werden. Die Wirkstoffe Topiramat, Amitriptylin, Botulinumtoxin oder auch monoklonalen Antikörper gegen das migräneauslösende CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) können hierfür zum Einsatz kommen.

Rückfall vermeiden

Nach gelungener Schmerzmittelpause können im Akutfall wieder Schmerz- oder Migränemittel eingenommen werden. Wichtig ist allerdings, immer im Gespräch mit Ärzt:innen oder Apotheker:innen zu bleiben. Häufen sich die Beschwerden wieder, also werden an mehr als 10 beziehungsweise 15 Tagen im Monat Medikamente zur Schmerzlinderung eingenommen, liegt wohlmöglich ein Rezidiv vor. Um dies zu vermeiden, sollte stets auf angemessene Schlaf- und Erholungszeiten geachtet werden. Entspannungstraining, aber auch regelmäßiger Ausdauersport und gegebenenfalls psychologische Betreuung können Beispiele für weitere Präventionsmaßnahmen sein.

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