Tamiflu gegen Darmentzündung APOTHEKE ADHOC, 27.08.2015 15:10 Uhr
Gerät der Bakterienhaushalt im Darm aus dem Gleichgewicht, kann es zu Krankheiten kommen. Physiologen der Universität Zürich haben jetzt nachgewiesen, dass ein spezifisches Kohlenhydrat der Darmschleimhaut gewisse Kolibakterien stark vermehrt und damit Entzündungen verursacht. Abhilfe könnten Neuraminidas-Hemmer wie Oseltamivir und Zanamivir schaffen.
Das Team um Professor Dr. Thierry Hennet entdeckte im Rahmen einer Studie, warum sich das Darmbakterium Escherichia coli stark vermehrt und entzündungsfördernd wirkt. Im Normalzustand sind die Bakterien harmlos und machen nur rund 0,1 Prozent der Darmflora aus. Wenn sie jedoch in großen Mengen vorkommen, können sie Durchfall oder schwere Darmentzündungen auslösen.
Die Zürcher Studie zeigt, dass eine Überproduktion von E. coli auf die Verfügbarkeit des Kohlenhydrats Sialinsäure zurückzuführen ist. Dieses kommt in großen Mengen in den Proteinen der Darmschleimhaut vor. Damit die Bakterien die Sialinsäure überhaupt verwerten können, sind sie auf die Mithilfe des Enzyms Neuraminidase angewiesen, das auch Sialidase genannt und auch von anderen Darmbakterien freigesetzt wird. „Bemerkenswert ist, dass E. coli selber keine solche Enzyme produziert“, erklärt Hennet.
Ihm und seinen Kollegen ist es gelungen, die komplexe Ereigniskette einer schweren, durch E. coli ausgelösten Entzündung nachzuweisen. Demnach führt eine Verletzung der Darmschleimhaut zuerst zur starken Vermehrung eines nicht krankheitserregenden Bakteriums, das Neuraminidase abgibt.
Diese verstärkte Enzymproduktion setzt dann Sialinsäure frei, die wiederum eine Überproduktion von E. coli fördert. Das kann letztlich zu einer Darmentzündung führen. Die Forscher fanden zudem heraus, dass durch die Einnahme eines Neuraminidase-Hemmers die übermäßige Bildung vom E. coli verhindert und somit die Krankheitssymptome gelindert werden konnten.
Interessanterweise wurden solche Neuraminidase-Hemmer bereits gegen das Influenzavirus entwickelt. „Derivate von bekannten Grippe-Wirkstoffen wie zum Beispiel Tamiflu (Oseltamivir) und Relenza (Zanamivir) könnten somit ebenfalls bei entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden.“ Dies eröffnet nach Einschätzung des Wissenschaftlers neue therapeutische Möglichkeiten.
Trillionen von Bakterien besiedeln den menschlichen Darm – sie kommen somit häufiger vor als sämtliche Zellen in unserem Körper. Die Zusammensetzung dieser Bakterienpopulation ist sehr variabel und wird durch die Ernährung beeinflusst. Krankheiten, aber auch Antibiotika, können zu signifikanten Verschiebungen innerhalb dieses Gleichgewichts führen. Kritische Situationen treten etwa dann auf, wenn sich ganze Bakteriengruppen plötzlich stark vermehren. Sie beschädigen das Darmgewebe und führen zu Entzündungen. Wie solche Umverteilungen ausgelöst werden, war bisher noch weitgehend unbekannt.