Antikörper gegen Migräne Dr. Kerstin Neumann, 31.03.2016 07:55 Uhr
Mit Marken wie Ratiopharm, CT und AbZ ist Teva vor allem für sein Generikageschäft bekannt. Seit einigen Jahren treibt der israelische Konzern auch sein Originaliageschäft rund um das MS-Mittel Copaxone voran und investiert in die Forschung. Nach Erfolg versprechenden Phase-II-Studien hofft man nun, mittelfristig ein neuartiges Medikament zur Prävention von Migräne auf den Markt zu bringen.
Mit der Substanz TEV-48125 verfolgt Teva einen neuen Ansatz zur Prophylaxe von Anfällen bei chronischen Migränepatienten. TEV-48125 ist ein monoklonaler Antikörper, der sich gegen das Calcitonin-Gene-Related-Peptide (CGRP) richtet. CGRP ist als wichtiger Faktor in der Entstehung von Migräne gut charakterisiert. Eine periphere Freisetzung ruft im Körper eine starke Vasodilatation hervor. Außerdem gilt das Peptid als Entzündungsmediator. Im Zentralnervensystem ist CGRP an der Regulation der Körpertemperatur beteiligt und moduliert die Schmerzübertragung.
In Forscherkreisen gilt CGRP als eine der vielversprechendsten Zielstrukturen für die Entwicklung neuer Arzneistoffe gegen Migräne. Gerade weil die Substanz sowohl zentral als auch peripher in den Verlauf der Migräne eingreift, könnte eine Inhibition des Peptids an beiden Angriffspunkten eine signifikante Verbesserung der Beschwerden hervorrufen, so die Hoffnung.
Erste Ergebnisse kann Teva jetzt aus einer Phase-II-Studie vorzeigen. 264 Patienten mit chronischer Migräne, also mehr als 15 Tagen mit Kopfschmerzen im Monat, wurden über drei Monate lang entweder mit Placebo oder mit einem Dosisregime von initial 675 mg und folgend 225 mg beziehungsweise durchweg 900 mg von TEV-48125 behandelt. Der Antikörper wurde alle 28 Tage subkutan appliziert. Stunden mit Kopfschmerzen trugen die Teilnehmer in ein elektronisches Tagebuch ein, über welches die Daten direkt an die Forscher übermittelt werden konnten.
Das Ergebnis: Nach einem Monat wiesen die Patienten signifikant seltener Kopfschmerzen auf als unter Placebo. Im Vergleich zum Vormonat der Therapie konnten die Schmerzen unter der höchsten Dosis um 67 Stunden verringert werden – mehr als zwei Stunden pro Tag. Mit Placebo wurde die Hälfte der Reduktion erzielt. Die aufgetretenen Nebenwirkungen waren dabei gering. Am häufigsten traten leichte Schmerzen an der Einstichstelle auf.
Bei Teva erhofft man sich nun ähnlich gute Ergebnisse in klinischen Studien der Phase III. Die Entwicklung des Medikamentes habe einen sehr hohen Stellenwert bei Teva, die Substanz sei eine mit dem größten Potenzial in der Pipeline des Konzerns, so eine Sprecherin. Eine internationale Studie sei in diesem Jahr gestartet worden. Auch deutsche Zentren sollen an den Untersuchungen beteiligt werden. Fallen auch diese Tests positiv aus, soll zügig ein Zulassungsantrag eingereicht werden.
Auch andere Unternehmen forschen an Inhibitoren von CGRP: Der Schweizer Pharmakonzern Novartis hat eine Kooperation mit dem US-Biotechkonzern Amgen angekündigt. Die Zusammenarbeit sieht unter anderem vor, den humanen, monoklonalen Antikörper AMG 334 weiterzuentwickeln. Erste Ergebnisse aus Phase III werden für 2017 erwartet. AMG 334 hemmt ebenfalls die Aktivität von CGRP, indem es die Rezeptoren angreift. Für das Migräne-Programm bekommt Novartis die weltweiten Entwicklungs- und Vertriebsrechte außerhalb der USA, von Kanada und Japan.
Teva hatte seine Originalpräparate, darunter die ehemaligen Cephalon-Präparate Effentora (Fentanyl), Vigil (Modafinil) und Azilect (Rasagilin) sowie das AWD-Schmerzmittel Katadolon S long (Flupirtin) in das 2013 neu gegründete Unternehmen Teva Specialty Medicines mit Sitz in Berlin eingebracht.
Der Generikakonzern investiert derzeit besonders in den Biotech-Bereich. Am Ulmer Standort wird die Produktionsanlage ausgebaut. Insgesamt soll ein höherer dreistelliger Millionenbetrag investiert werden – die größte Einzelinvestition überhaupt. In Ulm sollen monoklonale Antikörper für mehrere Indikationen hergestellt werden. Innerhalb der Biopharmazeutika stellten sie den größten Wachstumsmarkt dar. In den vergangenen sechs Jahren wurden in Ulm vier Biosimilars entwickelt: Eporatio (Epoetin theta), Ratiograstim (Filgrastim), Lonquex (Lipegfilgrastim) und Ovaleap (Follitropin alfa).
Aktuell kämpft Teva um sein wichtigstes Produkt, das MS-Mittel Copaxone (Glatirameracetat). Im Mai 2014 war zunächst in den USA das Patent abgelaufen. Um seinen Blockbuster zu retten, hatte Teva schon einige Monate zuvor das hauseigene Nachfolgeprodukt eingeführt, das seit kurzem patentgeschützt ist. Das neue Copaxone enthält mit 40 mg/ml doppelt soviel Wirkstoff wie das ursprüngliche Produkt und muss nur noch dreimal pro Woche statt täglich subcutan gespritzt werden. Laut Teva werden 60 Prozent der Injektionen eingespart; injektionsbedingte Nebenwirkungen werden um 50 Prozent reduziert.
Das von Teva selbst entwickelte MS-Medikament war 1996 auf den Markt gekommen und ist bis heute der wichtigste Umsatzbringer des Generikakonzerns: Mit 4,2 Milliarden US-Dollar machte das Original im vergangenen Jahr 21 Prozent der weltweiten Erlöse aus; in den USA liegt der Anteil sogar bei 29 Prozent. Auf der Ertragsseite spielt das Produkt für den Konzern eine noch bedeutendere Rolle.
Mit einer oralen MS-Therapie war Teva bislang gescheitert: Anfang 2014 lehnte die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) die Zulassung für Nerventra (Laquinimod) ab – weil Risiken, die im Tierversuch beobachtet wurden, in den klinischen Studien nicht widerlegt werden konnten: In Versuchen mit Ratten waren karzinogene und teratogene Effekte beobachtet worden, die laut Teva aber in den klinischen Studien mit Untersuchungszeiträumen von bis zu sieben Jahren nicht auftraten. Die EMA sah die Bedenken dagegen nicht ausgeräumt, zumal beide Effekte erst mit Zeitverzögerung nachweisbar seien.
Auch an der klinischen Wirksamkeit der einmal täglich einzunehmenden Kapseln hatten die Prüfer Zweifel: Zwar werde die Progression der Erkrankung verzögert; der Effekt auf die Schübe sei aber gering. Teva sah den Nutzen bei Patienten mit schubförmig remittierender Multipler Sklerose (RRMS) nach zwei großen Studien mit rund 2500 Probanden als belegt an. Zuletzt musste der Konzern aber gleich in zwei klinischen Studien die Behandlung für eine Gruppe abbrechen. Acht Patienten hatten unter Dosierungen von mehr als 1,2 mg schwere kardiovaskuläre Nebenwirkungen gezeigt. Dennoch will Teva die Studien – mit niedrigeren Dosen – fortführen.
Mit TEV-48125 könnte Teva zusätzlich ein neues Indikationsfeld besetzen. Etwa 10 Prozent der Erwachsenen sind von Migräne betroffen, Frauen häufiger als Männer, aber auch Kinder und Jugendliche sind mit wiederkehrenden Migräneattacken konfrontiert.
In der „Global Burden of Disease Study“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) liegt Migräne, was die weltweite krankheitsbedingte Belastung betrifft, unter mehr als 300 Erkrankungen an sechster Stelle.
Während in der Anfallsbehandlung die Triptane den Markt dominieren, gibt es zur Prävention von Anfällen derzeit keine spezielle Therapie. Als Mittel der Wahl gelten derzeit Betablocker wie Metoprolol, Calciumantagonisten sowie Antiepileptika. Die Vasodilatatoren wirken jedoch nur peripher. Antiepileptika werden aufgrund fehlender wissenschaftlicher Evidenz und häufiger Nebenwirkungen häufig ungern verschrieben.