Migräne: Häufiger Therapieabbruch Alexandra Negt, 10.03.2021 14:54 Uhr
Migräne kann unterschiedliche Auswirkungen auf den Alltag haben. Einige Patienten erleiden nur zweimal im Jahr eine Attacke, andere leiden jede Woche unter dem stechenden Kopfschmerz. Hinzu kommen zahlreiche weitere Symptome, die eine Teilnahme am Alltag unmöglich machen. Insbesondere junge Frauen leiden häufig unter Migräne. Gerade für sie stellt die Therapie ein Problem dar. Behandlungsversuche mit Bteablockern, Sartanen oder Valproinsäure werden aufgrund der unerwünschten Wirkungen abgebrochen.
Migräne gehört zu den neurologischen Erkrankungen und kann schwer verlaufen. Weltweit leiden 10 Prozent aller Menschen unter Migräne. Die Ausprägung ist sehr unterschiedlich. Gerade junge Frauen leiden besonders oft unter häufig wiederkehrenden Attacken. Gerade bei chronischen Formen sollte nicht ausschließlich mit NSAID oder Triptanen behandelt werden. Patienten mit chronischer Migräne, die über mehr als drei Monate hinweg mindestens 15 Kopfschmerz-Tage pro Monat erleiden, oder bei denen an acht oder mehr Tagen Migränesymptome auftreten, sollten über eine Migräneprophylaxe nachdenken. Gemeinsam mit dem Hausarzt oder einem Neurologen können die Therapieoptionen besprochen werden.
Prophylaxe oft mit Nebenwirkungen verbunden
Zur Migräneprophylaxe sind beispielsweise Betablocker zugelassen. Doch die Therapie mit Propranolol & Co. ist nicht für alle Patienten gut geeignet. Heiko Schneider, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin in Apolda in Thüringen berichtet, dass die Verordnung dieser Mittel in der Praxis eher problematisch ist: „Die typischen Migränepatientinnen jedoch sind häufig jünger, haben einen zierlichen Körperbau und einen niedrigen Blutdruck. Diese Patientinnen hätten mit Betablockern möglicherweise weniger Migräne, wären allerdings hypoton und bradykard. Ein weiteres großes Problem stellt die psychopharmakologische oder kardiologische Co-Medikation dar. So können mögliche Wechselwirkungen die Entscheidung für das Prophylaxe-Medikament wesentlich beeinflussen.“
Somit stellen vor allem Antikörper eine gute Prophylaxetherapie dar. Doch der Weg dahin gestaltet sich für viele Patient:innen oftmals schwierig. Botox und Antikörper sind bei chronischer Migräne zwar indiziert, jedoch erst, wenn zwei orale Therapien gescheitert sind. Antikörper sollen sogar erst bei Versagen des neurotoxischen Proteins eingesetzt werden. Dabei ist ihre Verträglichkeit weitaus besser einzustufen, als die der oralen Therapiemöglichkeiten, so Experten.
In der aktuell geltenden Leitlinie zur Therapie der chronischen Migräne ist eindeutig definiert, welche Patienten einen monoklonalen Antikörper bekommen sollten. „Nach dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist eine Verordnung bei Patienten mit episodischer Migräne möglich, wenn mindestens fünf Substanzen aus den vier verfügbaren, zugelassenen medikamentösen pharmakologischen Gruppen wie Betablocker (Metoprolol oder Propranolol), Flunarizin, Topiramat, Valproinsäure oder Amitriptylin nicht wirksam waren, nicht vertragen wurden oder wenn gegen deren Einnahme Kontraindikationen oder Warnhinweise bestehen“, heißt es in der Leitlinie. Es wird empfohlen, Antikörper erst dann einzusetzen, wenn der Patient auf eine Therapie mit Onabotulinumtoxin A nicht angesprochen hat.
Dabei zeigen humane monoklonale CGRP-Rezeptor-Antikörper wie Erenumab (Aimovig, Novartis) seid der Zulassung vor knapp drei Jahren gute Ergebnisse. In mehreren großen, globalen, randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studien mit einer Dauer von 3 bis 24 Monaten konnte Erenumab eine signifikante Reduktion der Migränehäufigkeit und eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität zeigen. Vor kurzem erst konnten die Daten der 5-Jahres Langzeitstudie veröffentlicht werden. Im Ergebnis zeigte sich, dass es im Schnitt zu einer Reduktion der monatlichen Migränetage von 5,3 Tagen kam. Patienten, die die Antikörpertherapie erhielten, waren auch seltener auf den Einsatz einer Akuttherapie (NSAID, Triptane) angewiesen. Durchschnittlich sanken die Tage pro Monat, an denen eine migränespezifische Akuttherapie benötigt wurde, um 4,4 Tage.
Wirkung von Erenumab
Der Antikörper Erenumab blockiert gezielt den Rezeptor des Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP). Dieses Molekül spielt in der Entstehung der Migräne eine entscheidende Rolle. Dies wird vor allem dadurch belegt, dass sowohl die Hemmung der CGRP- Freisetzung als auch die Blockade des CGRP-Rezeptors therapeutisch wirksam sind. Als wahrscheinlichen Hauptwirkort der CGRP-Rezeptor-Blockade durch Erenumab gibt Novartis das trigeminale Ganglion an. Dieses spielt bei der Entstehung des Migräne-Schmerzes eine wichtige Rolle. In tierexperimentellen Studien konnte gezeigt werden, dass diese Struktur auch für Wirkstoffe zugänglich ist, die die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren können. Zu den häufigsten Nebenwirkungen gehören Schmerzen an der Injektionsstelle, Infektionen der oberen Atemwege, Übelkeit, Sinusitis und Nasopharyngitis. Aus der Praxis berichten Mediziner eine bessere Therapietreue als bei oralen Prophylaxeoptionen. Erenumab senkt nicht den Blutdruck. Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Schwindel gehören laut Allgemeinmedizinern und Neurologen zu den häufigsten Angaben, weshalb eine Therapie mit Betablockern & Co. abgebrochen wird.
Sport als Wunderwaffe
Generell sei aber auch ein Wandel der Gewohnheiten wichtig, um eine Reduktion des Schmerzes und der Attackenhäufigkeit zu erfahren. Dr. Peter Storch ist Facharzt für Neurologie sowie zertifizierter DMKG Kopf- und Gesichtsschmerzexperte setzt dabei vor allem auf Ausdauersport. Zahlreiche Studien hätten gezeigt, dass Ausdauertraining dreimal die Woche für 30 Minuten zu einer deutlichen Abnahme der Schmerzsymptomatik führt. Darunter geht leider nichts – wer tatsächlich etwas ändern möchte, der sollte dreimal wöchentlich Sport machen, am besten draußen. „Nicht medikamentöse Therapieverfahren, wie zum Beispiel eine Lebensstiländerung (Ausdauersport, Entspannung) oder psychologische Therapieverfahren (Stressmanagement, Schmerzbewältigung), sollten immer die Basis einer Migräneprophylaxe darstellen. Eine Indikation für die zusätzliche medikamentöse Migräneprophylaxe ergibt sich vor allem aufgrund der Kopfschmerzhäufigkeit, des Leidensdrucks und der Einschränkung der Lebensqualität.“
„Auch eine unzureichende Wirksamkeit der Akutmedikamente ist ein Grund für den Beginn einer medikamentösen Prophylaxe. Patienten mit häufigeren Migräneattacken haben ein Risiko für einen Medikamentenübergebrauch. Als Grundregel gilt, dass an nicht mehr als 10 Tagen pro Monat Schmerzmittel eingenommen werden sollten. Nähert sich die Kopfschmerzhäufigkeit diesen 10 Tagen pro Monat an, versuchen wir, unsere Patienten daher rechtzeitig vorher mit wesentlich mehr Vehemenz von der Notwendigkeit einer medikamentösen Migräneprophylaxe zu überzeugen.“