Medikationsfehler: Apotheke bemerkte Dosisfehler nicht Nadine Tröbitscher, 03.05.2024 12:17 Uhr
Einem 15-Jährigen wurde in einer Arztpraxis das falsche Arzneimittel verordnet. Wie die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) berichtet, wurde dem Jungen statt CEC (Cefaclor) das Arzneimittel Cecenu (Lomustin) verordnet.
Aufgrund einer einfachen Tonsillopharyngitis mit Halsschmerzen, Rhinitis, Husten und Fieber sollte der Junge mit bekannter Penicillin-Unverträglichkeit mit einem Cefaclor-haltigen Antibiotikum behandelt werden. Dabei kam es zu einem Verordnungsfehler in der Praxis, der schwerwiegende Nebenwirlungen nach sich zog.
Versehentlich wurde statt CEC das in der Praxissoftware in alphabetischer Reihenfolge darauffolgende Arzneimittel Cecenu verordnet. Enthalten ist das Alkylans Lomustin. Das Nitrosoharnstoff-Derivat ist Teil von Kombinationstherapien bei Hirntumoren und Hirnmetastasen, bei fortgeschrittenem Morbus Hodgkin, wenn die etablierten Chemotherapieschemata nicht mehr wirken sowie bei bösartigen Tumorerkrankungen der Haut und kleinzelligem Bronchialkarzinom.
Apotheke hat Falschmedikation nicht erkannt
In der Apotheke wurde das falsch verordnete Arzneimittel abgegeben, denn die Angabe der Diagnose ist nicht verpflichtend. Es gelten nur wenige Ausnahmefälle. Somit war die Prüfung der Verordnung auf Plausibilität erschwert, heißt es. Die falsche Angabe der Dosierung (1–1–1) des Zytostatikums wurde weder bemerkt noch hinterfragt. Cecenu wird einmal alle sechs Wochen eingenommen. „Patienten müssen ausdrücklich angewiesen werden, keine höheren Dosen von Cecenu als die vom Arzt empfohlene Dosis einzunehmen, und sind darauf hinzuweisen, dass Cecenu als einzelne orale Dosis in einem Abstand von mindestens sechs Wochen eingenommen werden soll“, heißt es in der Fachinformation.
Schwerwiegende Nebenwirkungen als Folge
Der Medikationsfehler führte zu schweren Nebenwirkungen beim 15-Jährigen. Zwei Wochen nach der Einnahme beklagte er anhaltende Halsschmerzen, Fieber und Abgeschlagenheit. Eine weitere Woche später traten Synkopen sowie Petechien und Blutblasen in der Mundhöhle auf. Der Patient wurde in der Notfallambulanz versorgt, aber die Einnahme von Lomustin als vermeintliches Antibiotikum fiel nicht auf, obwohl die Eltern die Medikation angegeben haben. Es wurde die Verdachtsdiagnose Epstein-Barr-Infektion gestellt, er wurde an den Hausarzt zurückverwiesen, der mit einer serologischen Diagnosesicherung beauftragt wurde.
Handyfoto leitet Therapie ein
Der Hausarzt veranlasste eine Untersuchung, die eine ausgeprägte Thrombozytopenie, Leukopenie, Neutropenie und Anämie ergab. Im Krankenhaus erfolgte daraufhin eine Knochenmarkspunktion, die eine komplette Aplasie des Knochenmarks ergab. Als der Befund im Krankenhaus besprochen wurde und der Vater ein Handyfoto des vermeintlichen Antibiotikums Cecenu zeigte, wurde eine entsprechende Therapie eingeleitet. Erst zwölf Monate nach der ersten Lomustin-Einnahme normalisierten sich die Blutwerte des Jungen wieder.
Die AkdÄ verweist auf das „Schweizer-Käse“-Modell. Demnach ist ein „Durchrutschen“ eines Medikationsfehlers möglich, wenn die etablierten Sicherheitsbarrieren versagen. Im beschriebenen Fall erschwerte eine Sprachbarriere zudem die Kommunikation. Laut AkdÄ möglicherweise auch der Grund, warum die Gebrauchsinformation die Familie nicht alarmierte.