Der Vorfall von Rennes, bei dem ein Mensch bei einer klinischen Studie durch schwere Nebenwirkungen ums Leben kam, soll sich zukünftig nicht wiederholen können. Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) haben ein Modell entwickelt, mit dem das Auftreten schwerer unerwünschter Immunreaktionen durch Antikörper vorhergesagt werden soll – vor der erstmaligen Anwendung am Menschen. Versuche mit dem monoklonalen Antikörper TGN1412 in einem humanisierten Mausmodell zeigten vielversprechende Ergebnisse.
Dass klinische Studien Gefahren für die Probanden bergen, ist nicht erst seit der Tragödie von Rennes bekannt. TGN1412 hatte 2006 in einer Studie mit gesunden Probanden zu einem Zytokinsturm mit schwerwiegenden Folgen geführt. Das Mittel war zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis und einer bestimmten Form von Leukämie entwickelt worden. Im Rahmen einer „First-in-Man“-Studie war das Mittel sechs gesunden Probanden verabreicht worden. Kurz darauf war es bei allen Teilnehmern zu einer massiven Freisetzung von Zytokinen mit lebensbedrohlichen Symptomen gekommen.
In den vorangegangenen Tierversuchen waren keine Anzeichen für Risiken gefunden worden. Auf die schweren immunologischen Reaktionen waren die Studieninitiatoren daher unvorbereitet. Seit dem Vorfall suchen Forscher nach Möglichkeiten, um das Auftreten von schweren Nebenwirkungen bereits vor der Anwendung beim Menschen abschätzen zu können.
Immunologen des PEI untersuchten daher, ob humanisierte Mausmodelle hierfür geeignet sein könnten. Sie entwickelten dafür Knockout-Mäuse, bei denen spezifische Gene des Immunsystems ausgeschaltet und durch menschliche Immunzellen ersetzt sind. Auf diese Art soll in den Mäusen eine Reaktion auf die Antikörper simuliert werden, die auch im Menschen vorkommen könnte. Neben TGN1412 untersuchten die Forscher auch den monoklonalen Antikörper OKT3, von dem ebenfalls bekannt ist, dass er schwere Zytokinstürme auslösen kann. Er war im Jahr 1986 der erste monoklonale Antikörper überhaupt, der für eine Behandlung am Menschen zugelassen worden war.
Die Methode des humanisierten Mausmodells zeigte Erfolg: Für beide Antikörper konnten die Wissenschaftler bereits in den Blutproben der Tiere eine Zytokinfreisetzung feststellen. So nahm beispielsweise die Menge von Interferon-gamma nach Antikörpergabe erheblich zu. Die Wissenschaftler beobachteten zudem weitere Effekte, die der Wirkung der Antikörper beim Menschen entsprechen. Dazu gehören der Verlust von Leukozyten nach TGN1412-Gabe sowie der nach OKT3-Gabe typische Verlust des Oberflächenmarkers CD3 auf T-Zellen.
Noch offensichtlicher waren die klinischen Symptome: Die Körpertemperatur der Tiere nahm ab – ein deutliches Krankheitszeichen bei Mäusen, etwa vergleichbar mit hohem Fieber beim Menschen. Auch der Gesamtzustand der Mäuse verschlechterte sich in wenigen Stunden erheblich. Die Wissenschaftler schlussfolgerten daher, dass über die Symptomatik und die Blutproben der Mäuse unerwünschte Effekte beim Menschen prognostiziert werden können. Es sei nicht notwendig, bereits im Detail zu wissen, wonach genau genau gesucht werden müsse – die Aufklärung des Mechanismus könne im Anschluss erfolgen, sofern notwendig.
Mit dem Tiermodell werden vor allem immunologische Effekte sichtbar, die über T-Zellen des Immunsystems vermittelt werden. Für Antikörper, die in diese System eingreifen, sei damit bereits ein Modell verfügbar. Denkbar sei auch die Entwicklung von anderen Modellen mit unterschiedlichen Angriffspunkten, diese müssten nun entwickelt werden. Die Versuche seien zwar sehr aufwendig, so die Forscher. Auf der anderen Seite könne so aber die Sicherheit für Probanden in Medikamententests erhöht werden.
APOTHEKE ADHOC Debatte