Medikamententest

Die Fehler von Rennes

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Berlin -

Seit der Veröffentlichung des Studienprotokolls von Rennes ist klar, dass Hersteller Bial und Studienlabor Biotrial in der klinischen Studie der Phase I hohe Risiken eingegangen sind. Die französische Gesundheitsministerin Marisol Touraine sprach von „großen Versäumnissen“. Aber auch die Arzneimittelbehörde ANSM muss sich fragen lassen, warum sie die Gefahren nicht früher erkannt hat.

Auf 96 Seiten erläutert das Studienprotokoll das hochkomplizierte Design der Studie. Demnach sind mehrere Studienansätze gleichzeitig verfolgt worden – besonders kleine Pharmaunternehmen schlagen diesen Weg ein, um die Kosten möglichst gering zu halten.

Das Studiendesign verrät: Die Probanden erhielten das Medikament nicht nur in einer Dosierung („Single Dose“), sondern über einen Zeitraum von zehn Tagen in unterschiedlichen Dosierungen nacheinander („Multiple Dose“). Dies rief europaweit Kritiker auf den Plan. Sowohl Ethik-Kommissionen als auch Behörden hätten einen solchen Ansatz kritischer hinterfragen sollen, sagte unter anderem Professor Dr. Joerg Haßford, Vorsitzender des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland. Erst auf Grundlage der ersten Daten hätten weitere Untersuchungen erfolgen dürfen.

Ein weiterer Kritikpunkt vieler Experten: Die Zeitintervalle waren sehr kurz. Nur 24 Stunden lagen zwischen dem ersten Probanden und der Verabreichung an die anderen Teilnehmer der Studienkohorte. Die verbleibenden Patienten erhielten ihre Dosis am Folgetag jeweils im Abstand von wenigen Minuten.

Die nationalen und internationalen Leitlinien zur Durchführung klinischer Studien schreiben den Herstellern vor, unter welchen Voraussetzungen die Untersuchungen durchgeführt werden können. So ist beispielsweise in den Leitlinien der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zur Risikominimierung der sogenannten „First-in-man“-Studien klar definiert, dass zwischen der ersten Dosis am ersten Probanden und der gleichen Gabe am zweiten Teilnehmer „ausreichend Zeit“ liegen muss. Der Zeitrahmen solle „der Prüfsubstanz angemessen sein“, heißt es. Das bedeutet, dass der Hersteller aufgrund der pharmakokinetischen Daten der Prüfsubstanz genau begründen muss, warum welcher zeitliche Abstand gewählt wurde – und dass dies auch von den Behörden genehmigt werden muss.

Schließlich muss sich der Hersteller vorhalten lassen, dass die Abbruchkriterien sehr liberal festgelegt wurden. Laut Prüfplan sollte der Test erst nach dem Auftreten von Nebenwirkungen bei mindestens vier Personen abgebrochen werden – bei den Gruppen mit nur acht Personen hätte also bei der Hälfte aller Teilnehmer ein Ereignis auftreten müssen. Dies wäre in anderen Ländern nicht akzeptiert worden, war von Experten zu hören. Dass die Medikation auch nach Auftreten der ersten Nebenwirkungen an andere Probanden verabreicht wurde, war also kein Verstoß gegen das Studienprotokoll. Wie aber sowohl die Ethik-Kommission als auch die Arzneimittelbehörde dies vorab genehmigen konnten, bleibt für viele deutsche Mediziner ein Rätsel.

Wie kann ein solch risikoreiches Studiendesign von der verantwortlichen Aufsichtsbehörde genehmigt werden? Darauf gibt die ANSM derzeit keine Antwort. Um die Vorwürfe gegen sich selbst zu entkräften, hat die Arzneimittelbehörde aber inzwischen einen detaillierten Zeitplan der Studie veröffentlicht.

Entgegen erster Veröffentlichungen starteten die Einzel- und Mehrfachgaben demnach nicht gleichzeitig, sondern hintereinander. Nach den ersten Tests mit Einzeldosen folgten drei Monate später die ersten Versuche über zehn Tage. Bis zum schweren Vorfall im Januar hatten 15 verschiedene Kohorten das Medikament in unterschiedlichen Dosen und Häufigkeiten verabreicht bekommen – ohne dass der Behörde eine Meldung über unerwünschte Effekte gemacht wurde.

Unklar bleibt bis heute allerdings, warum der Prüfdienstleister Biotrial die ANSM erst vier Tage nach dem Auftreten der schweren Nebenwirkungen und der Einweisung des ersten Probanden ins Krankenhaus informierte – vorgeschrieben ist die unmittelbare Benachrichtigung. Hier liegt ein klarer Verstoß gegen das Protokoll vor, für den Hersteller und Labor verantwortlich gemacht werden müssen.

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