Niedrigdosierte Acetylsalicylsäure (ASS) gehört für viele Menschen zur täglichen Medikamentendosis. Einige nehmen sie sogar auf eigene Faust ein, weil der Wirkstoff lange Zeit als „gesund“ galt: Er soll vor Krebserkrankungen und Herzinfarkten schützen können. Doch Expert:innen verweisen zunehmend auch auf die Risiken, welche unter anderem ein erhöhtes Blutungsrisiko umfassen. In der „Welt am Sonntag“ erschien nun ein Artikel, in dem Mediziner gesunden Menschen die präventive Einnahme nicht empfehlen.
Die Überschrift des am vergangenen Sonntag erschienenen Artikels ist deutlich: „Finger weg von Aspirin!“, heißt es dort. Die Tablette sei klein, weiß, harmlos – und billig. „Eine Tablette bekommt man in der Internetapotheke für weniger als zehn Cent“, erklärt Autorin Pia Heinemann. „Ein Spottpreis: Denn die kleinen weißen Pillen, Minidosen von Acetylsalicylsäure sollen vor Herzinfarkten, Schlaganfällen und sogar Krebs schützen. Vor den großen Krankheiten, den häufigsten Todesursachen.“
Zwar bekommen viele Patient:innen die Substanz vom Arzt beziehungsweise von der Ärztin verordnet, doch die vermeintlich positiven Wirkungen haben sich herumgesprochen. Daher wird Low-dose-ASS häufig auch selbst gekauft und sogar ohne ärztliche Rücksprache eingenommen. Ärzt:innen warnen jedoch mittlerweile vor den Risiken und der unbedachten Einnahme: Der Nutzen werde überschätzt, die möglichen Nebenwirkungen seien zu groß.
Dabei ist ASS ein seit Jahrhunderten bekannter Wirkstoff. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gelang erstmals die Herstellung in Reinform. „Seither machte ASS nicht nur als gängiges Schmerzmittel Karriere, sondern wird auch zur Prävention schlimmster Krankheiten eingesetzt“, erklärt die Autorin. Sogar die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Substanz als „unentbehrliches Medikament“ gelistet. Es hat also durchaus seine Daseinsberechtigung.
„Doch immer häufiger werden Zweifel daran laut, dass Aspirin als Schutz vor Krankheiten wirklich sinnvoll ist. Denn es kann auch Schaden anrichten.“ Erst kürzlich wurde auch in den USA der Einsatz von Low-dose-ASS massiv eingeschränkt und die Empfehlungen und Leitlinien aufgrund neuerer Studienergebnisse angepasst. Doch auch hierzulande sehen Kardiolog:innen und Onkolog:innen den präventiven Einsatz kritisch.
Als größtes Risiko sehen Expert:innen das erhöhte Blutungsrisiko. Vor allem bei unbemerkten Geschwüren beispielsweise im Magen-Darm-Trakt kann das schnell lebensbedrohlich werden. „Bei gesunden Menschen überwiegt deshalb der negative Effekt: Das Blutungsrisiko ist höher als der Schutzeffekt“, schlussfolgert die Autorin des Artikels. Die Abwägung zwischen Nutzen und Risiken sei nicht trivial. „Viele Menschen überschätzen den Nutzen“, erklärt im Artikel auch Heribert Schunkert, Kardiologe und Ärztlicher Direktor des Deutschen Herzzentrums in München. „Sie haben die alten Studien im Hinterkopf und glauben noch immer, dass ihnen eine tägliche Minidosis Aspirin nützt. Also nehmen sie sie auf eigene Faust ein, ohne darüber mit ihrem Arzt gesprochen zu haben.“
Seit Erscheinen der Studie im Jahr 1989 habe sich die gesamtgesundheitliche Situation jedoch verändert: „Heute kontrollieren viele ihre Herzrisiken, indem sie Cholesterinsenker wie Statine einnehmen.“ Außerdem werde weniger geraucht, viele würden sich zudem besser ernähren und mehr bewegen. „In der Folge hat sich das Herzinfarktrisiko in etwa halbiert“, so Schunkert. Die Nutzen-Risiko-Bewertung habe sich dabei verschoben – „zuungusten der Mini-Aspirin“.
Aufgrund der entzündungshemmenden Wirkung wurde ASS lange Zeit außerdem als „Anti-Krebsmittel“ propagiert. Denn chronische Entzündungen können nachweislich zu Tumoren führen. Im Artikel der „Welt am Sonntag“ kommt diesbezüglich Mathias Heikenwäldler zu Wort, Professor am Deutschen Krebsforschungszentrum. Zwar sei der Einsatz eines Entzündunghemmers naheliegend – allerdings glaubt er, Aspirin würde heutzutage vermutlich nicht mehr so breit zugelassen. „Das Mittel hat zwar viele positive Eigenschaften – aber eben auch viel zu viele Nebenwirkungen.“ Derzeit arbeitet er mit seinem Team an einer Fortentwicklung des Wirkstoffs – „praktisch ein modernes Aspirin“, erklärt er. Bis dahin tauge ASS zur Prävention bei gesunden Menschen nicht, resümiert Kardiologe Schunkert.
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