Standardimpfstoffe

Lieferengpässe: Jetzt auch noch Tetanus

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Berlin -

In Bonn treffen sich heute Experten von Ärzten, Apothekern und Behörden zum ersten Jour fixe zum Thema Lieferengpässe. Die Erwartungen sind gering, allzu oft schon hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) deutlich gemacht, dass es keine ernsten Probleme sieht. Dabei kommen die Warnschüsse näher: In den Kinderarztpraxen bestimmen bereits die Engpässe, wann Säuglinge und Kleinkinder gegen welche Krankheiten geimpft werden können. Aktuelles Beispiel sind die Tetanus-Vakzine.

Wer sein Kind gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis (DTaP) impfen lassen möchte, muss bis Ende des Jahres in Kauf nehmen, dass es zusätzlich vor Poliomyelitis, Haemophilus influenzae b (Hib) und Hepatitis B geschützt wird. Weil der GlaxoSmithKline (GSK) Infanrix nicht liefern kann, muss auf die Sechsfachimpfstoffe ausgewichen werden – die ebenfalls zuletzt nur eingeschränkt lieferbar waren.

Anfang vergangener Woche hatte GSK Infanrix bis Ende des Jahres defekt gemeldet. Der britische Pharmakonzern ist der einzige Anbieter für die Erstimmunisierung gegen DTaP. Auffrischimpfungen gibt es von GSK (Boostrix), Pfizer (TdaP Immun) und Sanofi Pasteur MSD (Covaxis). Weil diese Vakzine aber einen anderen Antigen-Gehalt aufweisen, dürfen sie nicht zur Grundimpfung eingesetzt werden.

Nach dem Ausfall von Infanrix hat die Ständige Impfkommission (STIKO) empfohlen, je nach Verfügbarkeit auf einen der beiden sechsvalenten Impfstoffe Infanrix hexa (GSK) oder Hexyon (Sanofi Pasteur MSD) auszuweichen. Beide Vakzine waren noch vor wenigen Wochen komplett ausverkauft. Nur über Notimporte konnte die Versorgung gewährleistet werden – ein bis dahin beispielloser Vorgang. Auch aktuell sind beide Impfstoffe nur eingeschränkt lieferbar.

Dass nun statt des Dreifach- der Sechsfachimpfstoff zur Grundimmunisierung eingesetzt werden müsse, sehen Experten nicht als Problem: Die STIKO schlägt ohnehin die Sechsfachimpfung als Standard vor. Negative Auswirkungen aufgrund überzähliger Impfstoffdosen seien nicht zu befürchten; bei der Fortsetzung begonnener Impfserien mit einem höhervalenten Impfstoff sei allenfalls darauf zu achten, dass die für eine vol­lständige Grundimmunisierung vorgesehene Anzahl komplettiert werde.

Auch für den Berliner Kinderarzt Jakob Maske ist der aktuelle Engpass von Infanrix kein Problem. Er verweist auf die STIKO-Empfehlungen; insofern störe ihn auch das Fehlen der Fünffachimpfstoffe Infanrix-IPV + Hib (GSK) und Pentavac (Sanofi Pasteur MSD) nicht. Die beiden Vakzine, bei denen im Vergleich zu den Sechsfachimpfstoffen die Hepatitis-Komponente fehlt, sind seit einem Jahr defekt – einen Liefertermin gibt es nach seinen Angaben nicht.

Laut Maske halten sich nur wenige Kinderärzte nicht an die STIKO-Empfehlung; in Berlin etwa verwendeten seiner Kenntnis nach nur zwei Praxen den Dreifachimpfstoff zur Grundimmunisierung. Insofern sei der aktuelle Engpass zu verschmerzen – und die Situation nicht zu vergleichen mit dem Ausfall der beiden Sechsfachimpfstoffe vor zwei Monaten.

Damals sei man an einem Punkt gewesen, an dem Säuglinge die Grundimmunisierung nicht erhalten konnten. „In unserer Praxis war der Engpass schnell behoben, aber andere Kollegen kämpften wochen- und monatelang darum, den dringend benötigten Impfstoff zu erhalten.“ Nur dank der Importe aus dem Ausland habe der Engpass aufgelöst werden können, so Maske.

Maske und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) finden die Versorgungssituation mit Impfstoffen insgesamt „nicht tolerierbar“. „Wir sehen einen generellen Mangel, was uns maximal missfällt.“ Ihn stört auch, dass das BMG nicht mehr Druck auf die Hersteller macht. Die Liefersituation dürfe nicht entscheiden, welches Kind wann welchen Impfstoff erhalte. Ärzte dürften auch nicht genötigt werden, zwischen verschiedenen Herstellern wechseln oder ganz improvisieren.

Anfang 2014 stand die Versorgung mit Standardimpfstoffen schon einmal vor dem Kollaps. Damals konnte GSK wegen eines Herstellungsproblems Priorix-Tetra, seinen Kombinationsimpfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln (MMR) und Varizellen sowie den Varizellen-Einzelimpfstoff, nicht mehr ausliefern. Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Robert Koch-Institut (RKI) forderten die Ärzte angesichts des drohenden Ausfalls dazu auf, andere Impfstoffe zu kombinieren. Um einen kompletten Zusammenbruch zu verhindern, sollten Auffrischimpfungen verschoben werden. „Auf keinen Fall“ sollte dagegen auf die rechtzeitige Grundimmunisierung verzichtet werden, so das PEI damals.

Laut IMS Health werden pro Jahr knapp 45 Millionen Impfstoffdosen abgegeben. Davon entfallen 2,3 Millionen Einheiten auf Kombinationsimpfstoffe rund um MMR und 9,6 Millionen Dosen auf Kombinationsimpfstoffe mit Tetanus-Komponente. Hier liegt die Sechsfachkombination mit knapp 3 Millionen Dosen vor der Vierfachkombi mit 2,6 Millionen Dosen und den trivalenten Vakzinen mit 2,4 Millionen Dosen.

Allerdings dürfte hier nur der kleinste Teil auf das jetzt fehlende Infanrix entfallen; die Dreierkombi wird – in anderen Dosierungen – vor allem zur Auffrischung eingesetzt, da die beiden anderen Komponenten dann nicht mehr gegeben werden müssen.

Die Fünfachkombination ist mit 150.000 Dosen – auch wegen des anhaltenden Engpasses – von untergeordneter Bedeutung, obwohl einige Ärzte die Impfung gegen Hepatitis im Kleinkindalter für nutzlos halten. 300.000 Einheiten entfallen zusätzlich auf die monovalente Vakzine gegen Tetanus.

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