Das Krebsmedikament Alkeran (Melphalan) ist wieder nicht lieferbar. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hin. Der Verband fordert die Politik erneut zum Handeln auf und ruft nach einer gesetzlichen Ermächtigung der zuständigen Behörden, bei Versorgungsmängeln Maßnahmen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung zu treffen.
Alkeran war laut DGHO bereits 2014 und 2015 zeitweise nicht lieferbar. Im vergangenen Jahr war die Trockensubstanz mit 50mg zur Herstellung von Infusionslösungen wochenlang defekt. Grund sei damals eine Verzögerung bei der Freigabe von Produktionschargen in der weltweit einzigen Produktionsstätte in Italien gewesen. Die Tabletten waren zwar verfügbar, konnten aber wegen der geringeren Dosierung von 2mg nicht weiterverarbeitet werden.
Laut DGHO ist das Präparat seit dem 16. April erneut nicht lieferbar. Derzeit empfehle Hersteller Aspen behandelnden Ärzten, nicht akut erforderliche Behandlungen um einige Wochen zu verschieben. Darüber hinaus sei eine Kontingentierung eingeführt worden, um eine zusätzliche Schieflage durch „Hamsterkäufe“ einzelner Apotheken zu verhindern.
„Das bereits mehrfache Auftreten des Lieferengpasses in so kurzer Zeit unterstreicht in dramatischer Weise die von der DGHO seit Jahren an die Politik gerichteten Forderungen nach längerfristigen, nationalen und europäischen Maßnahmen zur Vorbeugung von Medikamentenlieferengpässen“, schreibt die Gesellschaft.
„Der Lieferengpass von Melphalan ist ein negatives ‚Paradebeispiel‘ für ein grundsätzliches Problem“, sagt DGHO-Geschäftsführer Professor Dr. Carsten Bokemeyer. „Medikamente, die nicht mehr dem Patentschutz unterliegen und häufig weltweit nur noch von wenigen oder nur einem Hersteller produziert werden, sind extrem anfällig für Lieferengpässe. Daraus wird in der Onkologie schnell ein Versorgungsengpass.“
Für die pharmazeutischen Hersteller lohne sich die Produktion der entsprechenden Medikamente wirtschaftlich häufig einfach nicht, so Bokemeyer. „Wenn im Fall von Melphalan dann weltweit nur noch eine Produktionsstätte existiert, führen Herstellungsprobleme oder logistische Defizite unmittelbar zu einem Lieferengpass.“ Leittragende seien dann die Patienten, die auf das Medikament angewiesen seien.
Das Präparat wird vor allem in der Behandlung von Leukämien und Lymphomen zur Vorbereitung auf Stammzelltransplantationen eingesetzt. Es ist in dieser Indikation – insbesondere in seinem Haupteinsatzgebiet, der Hochdosistherapie von Patienten mit Multiplem Myelom – nicht durch andere Substanzen zu ersetzen.
Die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation (DAG-KBT) hat von Mitte 2015 bis heute eine Umfrage unter Transplantationszentren durchgeführt. 36 Zentren antworteten – und nahezu alle gaben Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Melphalan an.
Bei insgesamt 15 Patienten in drei Zentren hätten die Konditionsschemata geändert werden, ohne dass eine medizinische Indikation bestanden habe. „Bei 48 Patientinnen und Patienten in elf Zentren musste die Transplantation sogar verschoben werden“, sagt DAG-KBT-Chef Professor Dr. Nicolaus Kröger. „Das ist aus unserer Sicht ein dramatisches Signal an die Politik, dass sie jetzt endlich handeln muss.“
Bokemeyer räumt ein, dass das Arzneimittelgesetz schon heute eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung von Arzneimitteln verlange. „Das Problem ist aber, dass eine Nichtbefolgung sowohl straf- als auch ordnungsrechtlich nicht bewehrt ist und so keinerlei Handlungsdruck generiert wird.“
Bereits vor drei Jahren habe die DGHO den politisch Verantwortlichen detaillierte Vorschläge unterbreitet und Forderungen aufgestellt, die nun vor dem aktuellen Lieferengpass eindringlich erneuert würden. „Dabei ist die gesetzliche Ermächtigung, Behörden mit Handlungsmöglichkeiten auszustatten, um bei Versorgungsdefiziten Maßnahmen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung treffen zu können, nur ein Teil eines grundsätzlichen Lösungskonzepts“, so Bokemeyer.
Darüber hinaus fordert die DGHO eine befristete Verkehrserlaubnis und Einfuhr nicht zugelassener Arzneimittel, um einen Versorgungsmangel zu beseitigen. In solche einem Fall sollten die Behörden auch eine Bereitstellung von Arzneimitteln anordnen können. Außerdem sollten Firmen dazu verpflichtet werden, Lieferengpässe an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden.
Über die gesetzlichen Maßnahmen hinaus sollten aus Sicht der DGHO Wege gesucht werden, „um unterstützt durch wirtschaftliche Förderungsmaßnahmen und finanzielle Anreize die Versorgungssicherheit mit essenziellen Medikamenten durch Aufbau von redundanten Produktionsstätten zu verbessern“.
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